Westdeutsche Zeitung: Venezuelas Präsident und sein geschmackloser Hitler-Vergleich
Archivmeldung vom 13.05.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.05.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWenn Angela Merkel ganz, ganz ehrlich ist, wird sie zugeben, dass ihr der üble Hitler-Vergleich von Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez sogar gut ins Konzept passen könnte. Aus zwei Gründen: Ihre morgen beginnende Lateinamerika-Reise ist plötzlich ein Top-Thema.
In Südamerika beherrschte sie am Sonntag bereits die Schlagzeilen. In Deutschland, was für die Kanzlerin vielleicht noch wichtiger ist, findet man jetzt ihre vorher als langweilig eingestufte und längst überfällige Routinetour äußerst spannend. Der zweite Aspekt ist, dass Merkel dank ihres souveränen Umgangs mit Chávez' geschmackloser Attacke Größe zeigen konnte. Nicht jeder Angriff verdient eine Antwort. Das mag sie sich gedacht haben und handelte entsprechend. Unbeeindruckt wiederholte sie sogar, was Chávez so in Rage gebracht hatte, dass nämlich der Präsident Venezuelas nicht für ganz Lateinamerika spreche und jedes Land seine eigene Stimme habe. Auch das venezolanische Volk habe mit der Ablehnung eines Referendums im Januar eindeutig Stellung bezogen. Was damals ja eine herbe Niederlage für Chávez bedeutete. Holla! Was ist eigentlich so schlimm an Merkels Aussage? Aus europäischer Sicht wenig. Aber aus der Warte eines südamerikanischen Machtmenschen, der mit missionarischem Eifer für eine - von ihm so empfundene - gerechtere Welt kämpft, mag das als böse Tat gelten. Sein Ausraster lässt allerdings durchaus die Deutung zu, dass er seit der Abstimmungsniederlage durchaus dünnhäutig ist. Auch wenn jemand wie er dank der ihn umgebenden Claqueure stets der Gefahr des Realitätsverlusts unterliegt, könnte ihm doch dämmern, dass seine Macht schwindet. Allerdings war Chávez selten zimperlich, hat er doch auch schon den US-Präsidenten Bush als Teufel bezeichnet. Die Kernfrage von Merkels Reise und des EU-Lateinamerika-Gipfels wird sein, ob sich nun einige südamerikanische Staatschefs als Verteidiger Chávez' berufen fühlen. Merkels abgeklärte Reaktion kann hier sicherlich Schlimmes verhindern. Generell ist Chávez' radikaler politischer Einfluss allerdings nur zu bremsen, wenn möglichst viele Staaten Südamerikas die soziale Frage befriedigend beantworten.
Quelle: Westdeutsche Zeitung (von Martin Vogler)