WAZ: Zur Lage der Kinder: Es fehlt der rote Faden
Archivmeldung vom 23.11.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 23.11.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMan muss die Ereignisse der letzten Zeit wohl in den Zusammenhang stellen: Leistungsdruckgeplagte Gymnasiasten mit Amoklauf-Fantasien legen vielerorts den Schulbetrieb lahm. Kinder aus unteren sozialen Schichten durchleben ihre Vorschulzeit einsam und schlecht ernährt. Der Vater eines unehelichen Jungen beschäftigt das höchste Gericht, weil er sich nicht zwingen lassen will, sein Kind zu sehen. Wieder mal verhungert ein Kind nach langen Qualen.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine neue Studie oder
eine Schreckensnachricht aus den Bereichen Familie/Kinder/Bildung die
Schlagzeilen füllt. Einher geht stets der Ruf nach mehr Geld, nach
mehr Personal: Nach Schulpsychologen, die verwirrte Jugendliche
auffangen sollen. Nach Sozialarbeitern in Brennpunkten. Nach mehr
Streetworkern, Jugendamtsmitarbeitern, Erzieherinnen. Gleichzeitig
rufen wir nach Standards und Konzepten. Wir wollen
Vorsorgeuntersuchungen für Kinder zur Pflicht machen, wir klopfen
Vierjährige auf ihre Sprachkompetenz ab. Um es kurz zu machen: Es
geht um den Ausbau der staatlichen Kontrolle und Fürsorge in allen
Bereichen, die Familie, Bildung und Erziehung betreffen.
Das bereitet natürlich den Familien, die aus eigener Kraft ihre
Kinder optimal erziehen, die deswegen auch auf ein zweites Einkommen
verzichten, Unbehagen. Traditionelle Familien befürchten Gängelei und
sie fühlen sich ungerecht behandelt. Sie wollen für ihren Einsatz und
ihren Verzicht belohnt werden, zum Beispiel mit dem Betreuungsgeld,
das Eltern bekommen sollen, die ihr Kleinkind zuhause lassen. Auch,
weil ihre einzige Förderung, das Ehegattensplitting, noch nicht
einmal die Anzahl der Kinder berücksichtigt.
Angesichts der wachsenden Zahl der Kinder, die ohne Chancen auf
eine bessere Zukunft aufwachsen, kommt das Jammern der
nordrhein-westfälischen CDU-Basis über Ursula von der Leyens
Schwerpunkte in der Familienpolitik aber einem gewissen Selbstmitleid
gleich. Was man allerdings durchaus an der Politik der CDU-Ministerin
kritisieren kann: Ihr Betreuungsausbau funktioniert nach dem Prinzip
Masse statt Klasse.
Doch auch das ist kein Wunder. Die Familien- und Bildungspolitik leidet an der föderalen Struktur: Es gibt keinen roten Faden. Jedes Bundesland regelt sein Schulsystem selbst, jede Kommune definiert eigene Standards. Und so wird geredet und probiert. Das Deprimierende daran: Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung