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WAZ: Vertrag von Lissabon - Den Bürgern traut man nicht

Archivmeldung vom 13.12.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.12.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wer aus gegebenem Anlass den Lissabonner Vertrag zur Hand nehmen will, sucht selbst bei den europäischen Institutionen vergeblich: Gedruckte Exemplare gibt es nicht. Frankreich will möglichst wenig Aufsehen, damit bloß keiner auf die Idee kommt, es handle sich doch um eine Art Verfassung, und Volksabstimmung verlangt. Wer wissen will, worum es geht, kann sich ja die knapp 300 Seiten aus dem Netz ausdrucken. Der Bürger dankt.

Die Verrenkung passt zur Gesamtgeschichte dieses Unternehmens, das als stürmische Annäherung an "die Menschen" begann und mit einer kläglichen Flucht vor eben denselben Menschen endet. Es ist gar nicht so schlecht, was heute in Lissabon von sechsundzwanzigeinhalb Staats- und Regierungschefs unterzeichnet wird (der Brite Brown will nicht aufs Foto, signiert separat und solo, wenn die andern schon zu Mittag essen). Aber die Regierungen trauen sich nicht mehr zu, den erzielten Fortschritt überzeugend unter die Leute zu bringen.

Einmal werden sie den Phantom-Vertrag noch offensiv vertreten müssen: In Irland setzt die Verfassung der Flucht vor dem Bürger Grenzen, ein Referendum ist zwingend vorgeschrieben. Üble Erfahrungen mit Abstimmungen (Dänemark, Niederlande, Frankreich) legen ebenso wie die Umfragen nahe, Zustimmung nicht für ausgemacht zu halten.

Aber gesetzt, die abschließende Kraftanstrengung führt zum gewünschten Erfolg - wird die EU dann dank des neuen Grundrechts einen großen Schritt nach vorne tun? Das kann sein, muss hingegen nicht. Der Vertrag versucht, zwei Anliegen auszutarieren, die beide für sich genommen richtig und wichtig sind, aber in Spannung zueinander stehen: Einerseits soll die Union mit ihren zugriffigen Zentralstellen in Brüssel gehindert werden, die Politik immer weiter dem konkreten Bürger-Leben zu entziehen. Andererseits kann das kleine Europa die globalen Zusammenhänge - vom Klima über den Handel bis zur Sicherheit - nur beeinflussen, wenn es gemeinsam agiert. Hier brauchen wir mehr EU, dort weniger.

Für beides verbessert der Vertrag die Voraussetzungen, mehr nicht. Die nationalen Parlamente können den EU-Instanzen besser auf die Finger schauen, notfalls auch hauen. Für die Außen-Vertretung gemeinsamer Interessen werden tauglichere Werkzeuge zur Verfügung stehen, personell wie strukturell. Beides Mal kommt es auf den Benutzer an - auch mit dem besten Hammer kann man den Daumen so gut treffen wie den Nagel.

Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Knut Pries)

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