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Verwundbar: Zur Gasversorgung und Konjunktur

Archivmeldung vom 28.09.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 28.09.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić

Die Nachricht über Beschädigungen der Ostsee-Pipelines hat Umweltpolitiker und Naturschützer beunruhigt - zumal angesichts der Bilder von ungewöhnlichen Blasenbildungen im Meer. Unter dem Aspekt der Energieversorgung, also aus wirtschaftlicher Perspektive, könnte man derweil eigentlich meinen, dass die Lecks keine besondere Aufmerksamkeit verdient haben. Schließlich bezieht der Westen gegenwärtig ja sowieso kein russisches Gas über diese Leitungen. Wie gesagt: eigentlich. Könnte man meinen.

Aber natürlich ist eine solche Sichtweise einäugig. Denn selbstverständlich haben die Lecks Weiterungen für die Versorgung. Erstens nämlich zerstören sie jede Aussicht da­rauf, dass nach einem Ende des Uk­raine-Kriegs rasch wieder russisches Gas nach Europa fließen könnte. Und zweitens dokumentieren sie augenscheinlich die generelle Fragilität der Versorgungsinfrastruktur.

Solange keine belastbaren Hinweise vorliegen, verbieten sich Spekulationen darüber, wer für die Lecks verantwortlich ist. Gleichwohl handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht um Zufall oder Unfall, sondern Sabotage, von wem auch immer. Das führt vor Augen, wie real in Zeiten des Kriegs die Gefahr einer jähen Unterbrechung von Gaslieferungen und wie groß damit die latente Bedrohung der Wirtschaftskraft ist.

Am Dienstag meldeten sich denn auch rasch diejenigen zu Wort, die Deutschland und Europa nicht nur einige Quartale schrumpfende Wirtschaftsleistung prognostizieren, sondern eine sehr schwere Rezession, wenn nicht gar Depression. Die Konjunkturoptimisten verweisen demgegenüber auf gefüllte Gasspeicher und die Tatsache, dass Unternehmen und ihre finanzierenden Banken sich bislang noch in einer Position der Stärke befinden - also in robuster Verfassung auf die absehbar kritische Situation im Winter zusteuern.

Das ist zwar richtig. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass die wirtschaftliche Abwärtsbewegung doch schmerzhafter ausfallen wird, als es bislang noch die einschlägigen Prognosen vor­aussagen, wächst stetig - auch durch immer wieder neue Risikofaktoren wie nun die mutmaßlichen Sabotageakte.

Deutschlands Wirtschaft steht in den nächsten Mo­naten ein un­gewöhnlich harter Stresstest bevor. Pandemie, Ukraine-Krieg und Klimawandel - gekoppelt mit den wirtschaftlichen Herausforderungen durch Lie­fer­pro­ble­me, Fachkräftemangel, ho­her Inflation und Zinswende - bedeuten schon genug Risiken. Zusätzlich ist das Maß an Verunsicherung so hoch wie selten zuvor - und Unge­wissheit bremst bekannter­maßen Investitionen und Konjunktur.

Die Finanzmärkte taten sich am Dienstag erkennbar schwer, die Nachrichtenlage zu bewerten. Nachdem der Gaspreis zu­nächst nur überschaubar anzog und sich der Dax lange Zeit im positiven Terrain hielt, schossen die Gasnotierungen am späten Nachmittag in die Höhe und lagen mehr als 20 Prozent über Vortag, während der Deutsche Aktienindex ins Minus rutschte. Das zeigt erneut, wie schwierig es derzeit am Aktienmarkt ist, die Risiken zu taxieren - zumal viele von ihnen, wie etwa die Sabotageakte, ohne Präzedenz sind. Wie im Vorfeld der Finanzkrise taugt der Finanzmarkt auch aktuell nicht als verlässlicher Krisen-Seismograf.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Detlef Fechtner

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