Mittelbayerische Zeitung: Szenen einer Ehe
Archivmeldung vom 25.10.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.10.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittIn mancher Hinsicht funktioniert eine Regierungskoalition wie eine Ehe: Selbst wenn die Liebe abgekühlt ist, können Vernunft, Vertrauen und gegenseitige Achtung die Partnerschaft am Leben halten. Und in einer guten Ehe ist ein Wechselspiel zwischen Streit und Versöhnung ganz normal. Doch in der schwarz-gelben Beziehungskiste funktioniert das gegenseitige Geben und Nehmen nicht. Der schroffe Korb, den CSU-Chef Horst Seehofer den Regierungspartnern Angela Merkel und Philipp Rösler vergangene Woche im Parteigezänk um Steuersenkungen gab, verdeutlicht, dass diese Polit-Ehe in Scherben liegt.
Unter anderen Konstellationen wäre ein vorzeitiges Ende der Regierung keine Frage des ob, sondern des wann. Doch es gibt zwei Dinge, die die Scheidung verhindern. Erstens die Staatsräson: Ein Koalitionsbruch, während die Schuldenkrise ihrem Höhepunkt zustrebt, würde auf die Rettungsbemühungen für den Euro wie eine Atombombe wirken. Falls Merkel jetzt als Hauptgarantin für den Währungsraum innenpolitisch weiter geschwächt würde oder sogar ganz ausfiele, wäre es vorbei mit dem Euro. Doch die Kanzlerin will um keinen Preis als Totengräberin der Gemeinschaftswährung in die Geschichtsbücher eingehen. Zweitens treibt die Koalitionäre die nackte Angst um das eigene politische Überleben. Nach den aktuellen Umfragen würden alle 93 Bundestagsabgeordneten der FDP ihren Job verlieren, wenn am Sonntag gewählt würde. Und die Perspektive, in absehbarer Zeit wieder ein Mandat zu erringen. Bei CDU und CSU würden die Verluste zwar nicht ganz so schmerzhaft ausfallen. Doch mit den Liberalen käme der Union der zurzeit einzig denkbare Koalitionspartner abhanden. Merkel, Seehofer und Rösler werden also den Teufel tun, ihr Bündnis platzen zu lassen. Bevor sie politisch Selbstmord begehen, halten sie lieber weiter ihre Zwangsehe aus. Die Bürger können nicht mehr viel von dem Bündnis erwarten, das bereits zur Halbzeit nur noch von Machtkalkül zusammengehalten wird. Das einzig wirklich Verbindende der schwarz-gelben Koalition war anfangs die Absicht, Bürger und Unternehmen zu entlasten. Doch die fatale Mischung aus gewaltigen Haushaltslöchern und den Folgen der Finanz- und Schuldenkrise machten diesen einst ehestiftenden Plan von Union und FDP zunichte. Und man stellt sich die Frage, warum Merkel und Rösler vergangene Woche ein Steuerreförmchen versprachen - und dabei Seehofer übergingen - obwohl CDU und Liberalen klar ist, dass ihnen spätestens der Bundesrat einen Strich durch die Rechnung machen wird. Ob das eine Kommunikationspanne der Kanzlerin war oder ein kalkulierter Tritt gegen Seehofers Schienbein ist dabei letztlich egal. Dieser Eklat macht deutlich, wie sehr die Nerven inzwischen blank liegen. Aus diesem Koalitionskrach gehen alle Beteiligten als Verlierer hervor. Merkel, weil sie die kleine Schwesterpartei ins Abseits stellt und damit zeigt, dass ihr bislang gut funktionierendes Gespür für Machtbalance inzwischen versagt. Rösler, weil er so dasteht, als ob er der CSU nicht einmal das Schwarze unter den Fingernägeln gönnt. Und Seehofer, weil er so wirkt, als ob man ihn in Berlin nicht mehr ernst nähme. Eigentlich kann Merkel einem fast leidtun. Sie ist seit drei Jahren - seit Ausbruch der Finanzkrise - gefangen im Krisenmanagement. In immer kürzer werdenden Zyklen muss sie immer mehr Brandherde in Europa austreten. Und in immer kürzeren Abständen lodern neue Flammen auf, während sie im Kampf gegen drohende Staatspleiten zwischen Berlin und Brüssel hin- und herjetet. Daran trägt sie zu einem Teil selbst schuld, weil sie zunächst zögernd und zaudernd auf den Bankrott Griechenlands reagierte. Nun ist die Kanzlerin zu einer Getriebenen geworden. So erfüllt sich bei ihr der Albtraum jedes Regierungschefs: Sie kann nur noch die Krise verwalten, aber Politik nicht mehr entscheidend gestalten. Dafür bräuchte man nämlich eine Koalition, die nicht zu jedem einzelnen Thema drei völlig verschiedene Ansichten hat.
Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)