DER STANDARD - Kommentar "Fremd gewordene Freunde"
Archivmeldung vom 20.06.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer Kontinentaldrift zwischen Europa und den USA ist weit fortgeschritten. Seltsam sind sie geworden, die Freunde von früher. Die gemeinsamen Abende sind lange vorbei, das geteilte Leid vieler Prüfungen schon lange vergessen. Und doch sitzt man ihnen dann und wann wieder gegenüber, den ehemaligen Studienkollegen, und weiß nicht so recht, über was man eigentlich reden soll.
Der EU-USA-Gipfel in Wien gleicht so einem Klassentreffen, und wie
auch im privaten Bereich wird nach dem ersten höflichen Gestammel
("gut schaust aus") auf Erprobtes zurückgegriffen: Frühere gemeinsame
Erlebnisse ("kannst dich noch erinnern?") werden aufgewärmt, um dann
einen Rettungsanker bei gemeinsamen Interessen zu finden.
Da ist es ein glücklicher Zufall, dass die EU wie auch die USA
gerade entdecken, auf dem Energiesektor keine besonders guten Karten
zu haben. Zusammen verbrauchen die beiden größten Wirtschaftsblöcke
44 Prozent der weltweit erzeugten Energie, wobei ein US-Bürger im
Schnitt doppelt so viel verbraucht wie ein EU-Bürger. Eine
strategische Partnerschaft wäre hier prinzipiell sinnvoll -
vorausgesetzt, dass es eine Partnerschaft auf Augenhöhe wird und
nicht eine auf Kniehöhe, denn China, Indien, Brasilien und viele
andere Schwellenländer sind neue Spieler am Energiemarkt und stärken
das Selbstbewusstsein der Produzenten von Caracas über Moskau bis
Teheran. Die EU als Juniorpartner - das ist aber zu befürchten, wenn
man all die Aufgeregtheit in Brüssel und Wien rund um den Gipfel
beobachtet, während er in den USA eher als "Nonevent" betrachtet wird
- als mehr oder weniger leere Freundschaftsgeste aus alter Gewohnheit
heraus.
Die fiebrige Suche nach Gemeinsamkeiten über eine
Energievereinbarung hinaus wird schnell ihr Ende finden, wenn
US-amerikanische Interessen betroffen sind. Die Verhandlungen um die
Doha- Welthandelsrunde im Rahmen der WTO zeigen das wahre Verhältnis
der EU zu den USA: Der Kampf zweier Wirtschaftsblöcke, der eigentlich
schon entschieden ist. Der tollpatschige Versuch der EU, bis 2010
führender Wirtschaftsraum zu werden, endet damit, dass die EU
fürchten muss, bald hinter China auf den dritten Rang zurückzufallen.
Doch nicht nur wirtschaftlich driften die Kontinente auseinander,
auch gesellschaftlich gibt es immer weniger Gemeinsamkeiten. Das
beginnt beim "europäischen Lebensmodell", das geringeres Wachstum mit
höheren Sozialleistungen begründet, und berührt natürlich auch das
Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba. "Die Mehrheit der US-Amerikaner
versteht nicht, dass man auch einen Krieg gegen den Terror verliert,
wenn man die eigenen Werte über Bord wirft", sagte der Vorsitzende
des Außenpolitischen Ausschusses des EU-Parlamentes, Elmar Brok, nach
einem Besuch des Gefangenenlagers und wurde daraufhin von
US-Journalisten ausgepfiffen.
Unter der Regierung von George W. Bush und der von ihr
inszenierten Stimmung mit Einflechtungen von primitivstem
Nationalismus wird es keine Annäherung der EU an die USA mehr geben,
da ist - vor allem rund um den Irakkrieg - zu viel Porzellan
zerschlagen worden. Vor allem der Kongress ist derzeit damit
beschäftigt, die nationalen Elemente auch in die Wirtschaftsgesetze
einfließen zu lassen. So ist nach einem Gesetzesentwurf die
Beteiligung von Nicht-US-Unternehmen etwa bei Fluglinien nicht mehr
erwünscht, und auch ein ausländischer Hafenbetreiber wurde wegen
"Sicherheitsbedenken" aus dem Land komplimentiert.
Die Hoffnungen für den Gipfel sollten sich deswegen auf einige
pragmatische Abkommen beschränken. Und vielleicht entwickelt das
leider auch außenpolitisch ziemlich zersplitterte Europa ja doch noch
so viel Selbstbewusstsein, seine Euphorie über den Bush-Besuch in
Wien ein bisschen zu bremsen.
Der pompöse Auftritt des US-Präsidenten mit hunderten eigenen
Sicherheitsleuten: Das ist eigentlich schon peinlich genug.
Quelle: Pressemitteilung Der Standard