LVZ: Außer Kontrolle
Archivmeldung vom 07.06.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 07.06.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas deutsche Gesundheitssystem geht am Stock: Tiefrote Zahlen bei den gesetzlichen Kassen und dramatische Umbettungsaktionen auch schwerkranker Patienten von den Unikliniken Heidelberg und Freiburg in kommunale Krankenhäuser sind alarmierend.
Die Kassen-Misere ist bedingt durch gestiegene Ausgaben für
Medikamente und Krankenhausbehandlungen. Das Patientendrama von
Baden-Württemberg ist die Folge des seit zwölf Wochen dauernden
Ärztestreiks. Beides sind Beispiele dafür, dass das System außer
Kontrolle geraten ist.
Schnelle, pragmatische Lösungen scheinen derzeit nicht in Sicht. Beim
Dauerbrenner Medizinerstreik kann offensichtlich nicht einmal die
anstehende Fußball-WM dafür sorgen, dass sich die gegnerischen Lager
wieder an den Verhandlungstisch setzen. Medizin paradox. Während die
zwickende Wade von DFB-Kapitän Michael Ballack die Koryphäen unter
den Sportmedizinern zu intensivster Behandlung antreibt, braucht Otto
Normalpatient in vielen Unikliniken vor allem eines: jede Menge
Geduld. Er wartet in diesen Tagen oft vergeblich auf seinen
OP-Termin.
Zum menschlichen Leid gesellt sich der ökonomische Druck. Durch
ausfallende Operationen verlieren die Kliniken Tag für Tag
hunderttausende Euro. Noch gibt es bei der Strategie der
Ärztevertreter kein Abweichen von der harten Linie. Sicher, die
miserablen Arbeitsbedingungen und das im westeuropäischen Vergleich
extrem bescheidene Einstiegsgehalt junger Mediziner lassen nur
geringen Verhandlungsspielraum zu.
Die Forderung nach einer generellen Lohnsteigerung von 30 Prozent für
Ärzte muss für die unter Kostendruck agierenden Länder allerdings wie
eine Erpressung wirken. Verständlich, dass der Niedersachse Möllring
als Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft da nicht klein beigibt.
Er kann auch gar nicht anders, denn jedes Zugeständnis wäre in
Anbetracht der öffentlichen Kassenlage ein finanzpolitisches
Harakiri.
Der Tarifstreit der Ärzte steckt in der Sackgasse. Ohne
Zugeständnisse beider Seiten, vor allem aber auch des Marburger
Bundes als Vertreter der Mediziner, wird er da so schnell nicht
herausfinden. Nach rund drei Monaten Aufstand wäre es allerdings an
der Zeit, dass die Konfliktparteien endlich den Weg für eine Einigung
freimachen. Die sehnen mittlerweile die betroffenen Ärzte genauso wie
ihre Patienten herbei.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung