WAZ: Wie sich die Außenpolitik ändern wird: Neuer deutscher Realismus
Archivmeldung vom 14.11.2005
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAußenpolitik alt, Außenpolitik neu: Ende letzter Woche war der Kaiser von China in Deutschland. Pekings Staatschef Hu konnte sich auf Schröder verlassen – der scheidende Kanzler machte sich für ein Ende des Waffenembargos gegen China stark, ohne Vorbedingungen. Danach ging Hu zu Merkel – und sprach das heikle Thema erst gar nicht an.
Merkel hatte ihren außenpolitischen
Minenhund Pflüger vorgeschickt. Ohne Sicherheit für Taiwan und ohne
Verbesserung der Menschenrechte sei an ein Embargo-Ende nicht zu
denken, gab der zu Protokoll. Und CDU-Vize Rüttgers verband in
Düsseldorf in Anwesenheit Hus die wirtschaftspolitischen Interessen
beider Länder mit dem Menschenrechts-Thema.
Pragmatisch, ohne Besserwisserei, leise, nicht leisetreterisch,
gänzlich frei von seltsam wilhelminischen Anwandlungen. So wird wohl
Deutschlands Außenpolitik in den nächsten paar Jahren sein.
Integrativ, nicht konfrontativ. Versöhnend, nicht spaltend. Passend
dazu der neue Minister: Im Außenamt erwarten die Diplomaten
hoffnungsfroh den Technokraten Frank-Walter Steinmeier, der einen
ausgewiesenen Parteipolitiker ersetzen wird.
Nicht nur in der Chinapolitik ändern sich die Koordinaten. Nicht
frei von persönlichem Geltungsdrang hatte Schröder für Berlin einen
Sitz im Weltsicherheitsrat angepeilt. Indes: weshalb sollten Paris
und London auf ihre privilegierte Stellung verzichten, weshalb
sollten die USA eine weitere Veto-Macht zulassen? Damit ist es jetzt
vorbei. Künftig heißt es nicht mehr: Wir wollen, sondern: wir können,
wenn man uns will.
Deutliche Akzentverschiebung auch in der Türkei-Politik. Das Duo
Schröder/Fischer hatte vehement und auch aus parteipolitischem
Interesse eine EU-Mitgliedschaft der Türkei betrieben. Im
Koalitionspapier heißt es nun diplomatisch, Deutschlands Ziel sei
eine Türkei in Europa, aber gelinge dies nicht, bleibe ja noch ein
privilegiertes Verhältnis. Berlin wartet ab; der Ball liegt im Feld
Ankaras.
Merkel und Müntefering werden viel von Kontinuität in
internationalen Fragen reden. Um dann doch dahinter tiefere
Korrekturen vorzunehmen. Die womöglich größte: Schröder hatte seine
Außenpolitik bedenkenlos in den Dienst der Innenpolitik gestellt.
Damit dürfte es einstweilen vorbei sein. Deutschlands Ansehen draußen
würde steigen.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung