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Putin dreht das Gas ab? Nein, wir könnten genug bekommen! Über die Einsamkeit des Andersdenkenden

Archivmeldung vom 13.07.2022

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 13.07.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Sanjo Babić

Der folgende Kommentar wurde von Tom J. Wellbrock geschrieben: "Kürzlich traf ich zwei alte Bekannte. Ein Paar, mit dem ich viele Jahre lang befreundet bin. Oder war. Nach wenigen Momenten kam das Gespräch auf die hohen Energiepreise. Dann auf den Ukraine-Krieg. Und dann war es auch schon wieder vorbei. Wir begegneten uns im Supermarkt. Sie standen in der Gangmitte vor mir, ich fuhr mit meinem Wagen an sie heran und witzelte von hinten: "Können Sie vielleicht mal aus dem Weg gehen? Sie blockieren ja den halben Supermarkt." Beide drehten sich um, Gelächter, gespieltes Zurückgiften in meine Richtung: "Jetzt quatschen Sie hier mal nicht dumm rum, wir stehen niemandem im Weg."

Wellbrock weiter: "Das kurze, humorvolle Gespräch hätte auch vor zehn Jahren stattfinden können. Wir kennen uns aber deutlich länger, waren immer gute Freunde. Doch nach den Witzeleien und der üblichen Frage, wie es denn so gehe, entwickelte sich das weitere Gespräch schnell in eine andere Richtung. Froh seien sie, einen Ofen zu Hause zu haben, sonst würde der Winter wohl hart werden. Ja, pflichtete ich bei, das alles sei Wahnsinn. Und das nur, weil uns die Bundesregierung in die wirtschaftliche Steinzeit zurückbringen will.

"Na ja", entgegnete der männliche Part der beiden, "wohl eher, weil der wahnsinnige Putin Krieg führt."

"Kein Grund, hier alles gegen die Wand zu fahren", erwiderte ich, "wir können Gas und Öl bekommen."

"Unsinn! Wenn wir jetzt Gas von Putin nehmen, macht der doch einfach weiter."

"Weißt du?", frage ich, "was in den letzten acht Jahren im Donbass passiert ist?"

Nun antwortet sie: "Ja, das ist auch schlimm, da ist Krieg."

"Krieg, den nicht Russland führt", sage ich.

"Völlig egal", sagt er, "die Leute in der Ost-Ukraine können nicht einfach sagen, wir machen unser eigenes Ding."

Es ging noch ein paar Minuten weiter, ich versuchte vergebens, den Blick auf die Lage ein wenig zu erweitern, merkte an, dass wir mit fast niemandem mehr Geschäfte machen könnten, wenn alles korrekt wäre. Und mit den USA dürften wir schon gar nichts mehr zu tun haben, die gehörten zu den verbrecherischsten Staaten der ganzen Welt.

Die Minuten zerronnen, die Blicke der beiden verdunkelten sich zusehends. Nachdem der männliche Part mir noch erklärt hatte, dass Russland schon seit Jahren aggressiv gegenüber dem Westen ist, konnte ich nichts mehr entgegnen, denn nun sagte sie: "Tja, wir müssen dann auch weiter. Mach's gut, Tom!"

Weg waren sie. Ich stand da, konsterniert. Wir sahen uns noch ein paar Mal im Supermarkt, gingen uns aber – oder vielleicht bilde ich mir das auch nur ein – aus dem Weg. In einem Moment wollte ich kurz winken, überlegte es mir aber, die Blicke der beiden wirkten wenig einladend.

Es war nicht die erste Begegnung dieser Art. Mal waren es Freunde, mal auch nur Bekannte oder Nachbarn. Immer wenn das Gespräch auf Russland kam (und das ist derzeit fast zwangsläufig der Fall), verdunkelten sich die Minen meiner Gesprächspartner, wenn ich meine Meinung äußerte. Mag sein, dass man im Laufe der Zeit dünnhäutiger wird oder abwertende Blicke vermutet, wo keine sind. Ich fürchte aber, dass ich keine Halluzinationen habe, sondern im Geiste als "Putin-Versteher" oder "Putin-Troll" tituliert werde. Die Situationen, die ich erlebt habe, zeichneten sich insbesondere dadurch aus, dass die stille oder mimische Verurteilung meiner Ansichten gewissermaßen gesellschaftlich akzeptiert sind.

Und wen könnte das auch wundern? In der Politik, den Medien, den Talkshows, auf der Straße, in den Familien, nahezu überall werden Menschen, die nicht das allgemeingültige Mantra herunterbeten, ganz selbstverständlich geächtet, kritisiert, in die "von drüben bezahlte" Ecke gestellt. Ein schlechtes Gewissen hatte ich nach der Begegnung im Supermarkt nicht, ich behaupte, recht gut im Thema zu sein, mich lange und intensiv mit dem Ukraine-Konflikt und seinen Hintergründen beschäftigt zu haben. Trotzdem war ich froh, den beiden nicht gesagt zu haben, dass ich zum Tag des Sieges am 9. Mai in Moskau war. Es hätte meine Ausgangslage vermutlich nicht gerade verbessert.

Schlechtes Gewissen – warum ich?

Das beschriebene Treffen im Supermarkt hat mich verletzt, weil ich so lange mit den beiden befreundet war. Ich fürchte, das ist jetzt vorbei, hat aber zumindest einen spürbaren Bruch bekommen. Doch ich ärgere mich auch. In erster Linie darüber, nicht gesagt zu haben, dass ich in Moskau war, die russische Seele ein kleines bisschen besser kennengelernt habe und den Standpunkt der Russen – auch vor ihrem historischem Hintergrund – nun anders einordnen kann, als das vor meiner Reise der Fall war.

Ich ärgere mich darüber, dass ich als Andersdenkender aufpassen muss, nicht zu viel Kritisches zu sagen, das meine Gegenüber irritieren oder ihrerseits verärgern könnte. Faktisch bin ich in einer defensiven Lage, und das, obwohl ich sicher mit Fug und Recht behaupten kann, besser informiert zu sein als meine Gesprächspartner im Supermarkt oder wo auch immer.

Mehr noch, ich rege mich inzwischen darüber auf, mit welch einer Selbstverständlichkeit die Uninformierten immer den gleichen Humbug aufsagen. Man erkennt sie an den Argumenten, die man täglich liest und hört, sie plappern nach, was ihnen woanders auf die Zunge gelegt wird. Dabei zeigen sie ein Maß an aktueller und geschichtlicher Unwissenheit, das Schmerz erzeugt. Und dennoch stehen sie vor mir, mit breiter Brust und ordnen die weltpolitische Lage ein, als hätten sie nie etwas anderes als Geopolitik gemacht.

Niemand kann mir vorwerfen, nicht zu wissen, wovon ich spreche. Ginge es um Mali oder die Philippinen, ich würde mich zurückhalten, besser noch: gar nichts sagen und denen zuhören, die etwas vom Thema verstehen. In diesen Themen bin ich schlecht aufgestellt, es wäre vermessen, würde ich dazu hochtrabend eine Meinung äußern, die auf … im Grunde auf nichts beruht, das über oberflächliche Berichte hinausgeht.

Aber da stand ich nun im Supermarkt, und der erste Reflex war, mich unwohl zu fühlen, weil ich mit meiner Meinung abwich von dem, was meine (wahrscheinlich ehemaligen) Freunde sagten. Meinen Einkaufswagen füllend machte sich aber schrittweise ein anderes Gefühl in mir breit: Ärger und der Wille, widerständig zu bleiben. Denn ich mag aus der Sicht anderer falsch liegen, aber ich lasse mir diese Einschätzung nicht nehmen, nicht von Uninformierten, die Argumente wie ein auswendig gelerntes Gedicht aufsagen, zu dem sie ohnehin keinen Bezug haben und womöglich nicht einmal den Verfasser kennen.

Es gab in meinem Leben viele Diskussionen, die ich als "Verlierer" (der aber eben doch etwas dazugewonnen hat) verlassen habe. Sie alle trugen zu meiner Entwicklung bei, machten mich reicher an Wissen und etwas demütiger gegenüber Menschen, die mir mit ihrem Wissen weit voraus sind.

In letzter Zeit habe ich solche Diskussionen aber kaum noch erlebt. Weil mir zu wenig gut informierte Leute mit gewinnbringenden Argumenten begegnet sind, weder im Supermarkt noch sonst wo. Und ich fürchte, es hat etwas damit zu tun, wo und wie sich der Großteil der Menschen, denen ich begegne, desinformieren lässt."

Quelle: RT DE von Tom J. Wellbrock

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