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Südwest Presse: Leitartikel zu Lotto

Archivmeldung vom 01.12.2007

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 01.12.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Es ist wieder soweit: Deutschland hofft heute auf das ganz große Weihnachtsgeld. Ein Jackpot mit irrwitzigen 38 Millionen Euro wartet nur darauf, geplündert zu werden. Brav reihen wir uns in die Schlange vor der Annahmestelle und spielen das Roulette des kleinen Mannes. Dass die Chancen mit 1 zu 140 Millionen gegen Null gehen, interessiert nicht. Vielmehr machen Meldungen, dass es in diesem Jahr schon 74 Menschen zum Euro-Millionär geschafft haben, Hoffnung.

Aller mathematischen Vernunft zum Trotze - die Möglichkeit des Unmöglichen hält bei der Stange.
Denn mal ehrlich: Haben auch Sie nicht längst ihre Kreuzchen gemacht, oft davon geträumt, dem Chef charmant die Kündigung auf den Tisch zu legen, allein an Zinsen jeden Monat 158 000 Euro zu verprassen, und das alles lebenslang in der Südsee zu genießen?
Die Antwort auf die Frage von Lotto-Skeptikern, warum Millionen Deutsche jedes Jahr rund fünf Milliarden Euro für ein paar letztlich wertlose Kreuzchen auf den Kopf hauen, scheint müßig. Sie träumen. Kein Wunder. Unsere modern-mediale Gesellschaft erlebt täglich einen Werbeansturm, der immer mehr Wünsche weckt: Nach einer Glitzerwelt mit Spaß-Elektronik à la I-Phone, schnellen Autos und tollen Reisen. Klatschgeschichten von Promis, die ein Leben in unfassbarem Luxus vorführen, tun ihr Übriges im Spiel auf der Klaviatur der Sehnsüchte. Auch Quizshows wie Günther Jauchs halb verheißend, halb prophetisch klingende Sendung "Wer wird Millionär?" haben enorme Quoten. Aber geht es wirklich nur um Konsum, Luxus und Jetset? Vielleicht werden die Deutschen hier unterschätzt, mittlerweile scheint weit mehr dahinter zu stecken.
Zwar ist unser Leben angesichts von Sparzwängen und Arbeitslosigkeit härter geworden. Dennoch bietet Deutschland einen relativ großen Wohlstand mit einer immer noch guten Gesundheitsversorgung, stets genug auf dem Teller, Auto und regelmäßigem Urlaub. Allerdings zu einem hohen Preis: Der Wohlstand kostet Freiheit, die viele missen. Sie leben für die Arbeit, statt für ihr Leben zu arbeiten, fühlen sich gehetzt, wollen ausbrechen.
Im Fernsehen - stets ein Spiegel des Zeitgeistes - boomen denn auch Auswanderer-Soaps und Castingshows für "Superstars" oder "Top-Models". Solche Formate stehen für den Wunsch nach totaler Veränderung, nach einer Freiheit jenseits von 40 Jahren Büro oder Fließband und irgendwann Rente.
Nur gehören zum Auswandern enormer Mut und Risikobereitschaft, und zum Sänger sind auch die wenigsten geboren.
Damit werden die Freiheit und die Zeit, nur das zu tun was man möchte und was dauerhaft Freude schenkt, zum wahren Luxus. Den können sich nur die Superreichen leisten. Der selbst längst bestens situierte "Millionäre-Macher" Günther Jauch brachte es einmal auf den Punkt: Unabhängigkeit sei der größte Gewinn, der sich aus Reichtum ziehen lasse. Der Jackpot verspricht den Weg dorthin.
Vielleicht wäre es ja klüger, sich auf "wahre Werte" wie Familie, Partnerschaft und Gesundheit zu besinnen, statt sein Geld für Tippscheine zu verplempern.
Doch da ist dieses Hoffen, dieses "Heute klappt's!" Und überhaupt, warum sollen klassische Werte und der Jackpot nicht zusammenpassen? Die Spanier pflegen einen ebenso schönen wie pragmatischen Trinkspruch: Dort wünscht man sich fröhlich "salud, amor y dinero". Zu Deutsch: Gesundheit, Liebe - und Geld.

Quelle: Südwest Presse


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