WAZ: Fußball mit tollen Zuwachsraten - Vom Volkssport zur Nobelmarke
Archivmeldung vom 17.05.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUnd wieder fällt der Vorhang. Ende der Saison, letzter Akt in der Fußball-Bundesliga, deren erste Inszenierung vor 45 Jahren über die Rampe ging. Doch welch ein Unterschied zwischen damals und heute, welch eine Diskrepanz zwischen den Premiere-Tagen und der aktuellen Selbstdarstellung.
Was angefangen hat wie ein Laien-Schauspiel, ist pompöses Theater geworden. Mit sensationellen Zuwachsraten und geradezu revolutionären Veränderungen auf allen Ebenen: Der gemeine Sportplatz, auch Stadion genannt, mutierte zur "Arena", aus Vereinen sind mittelständische Unternehmen geworden, in denen mehrstellige Millionen umgesetzt werden. Und das laufende Personal hat den Rang von Stars erreicht, von Superstars Marke Hollywood. Abgeschottet von den Fans auf den billigen Stehplätzen, beraten von smarten und geldgierigen Managern, erreichbar nur unter Geheimnummern, deren unerlaubte Weitergabe unter strengste Strafe gestellt wird.
Der ehemalige Volkssport Fußball, der sich im Vergleich zum
elitären Tennis oder zum feinen Golf lediglich als Freizeitvergnügen
fürs Proletariat (Stichwort Straßenfußball) begreifen durfte,
entwickelte sich zu einer Nobelmarke. In immer stärkerem Maße begehrt
und hofiert auch vom selbsternannten "Edel-Publikum", das nicht mehr
auf harten Sitzplätzen hockt, sondern in gleichermaßen feinen wie
teuren Logen. Wer seine Besonderheit noch in den Kindertagen der Liga
durch die Präsenz beim Opernball markieren wollte, setzt inzwischen
als Fußball-Fan die Duftnote.
Das Gerenne um die luftgefüllte Kugel ist ein Renner von
unvergleichlicher Attraktivität geworden. Jede
Fernseh-Live-Übertragung, egal, aus welchem entlegenen Winkel dieser
Welt, erreicht Super-Einschaltquoten. Sieben TV-Stationen rissen sich
um die Senderechte von der Verkündigung des EM-Aufgebots, das
Bundestrainer Löw am Freitag in einer spektakulären PR-Aktion auf
Deutschlands höchstem Gipfel benannte. Und über 20 Interessenten
stauen sich in der Warteschleife, um die künftigen Exklusiv-Rechte an
der Bundesliga zu erkaufen.
Allerdings geht das gewaltig brummende Geschäft um diesen Ball
nicht mit einer entsprechend anspruchsvollen Darstellung auf dem
Rasen einher. In den internationalen Wettbewerben musste sich ein
Großteil der Bundesliga-Klubs mit wenig beachteten Nebenrollen
abfinden, selbst Bayern München scheiterte auf dem Weg ins
Uefa-Cup-Endspiel. Dass Münchens Umsatz dennoch auf den Rekordwert
von 250 Millionen Euro kletterte, sagt eine Menge über gewandelte
Qualitätsansprüche an den Fußball.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Hans-Josef Justen)