Wiesbadener Kurier: Kommentar zu SPD-Machtkampf
Archivmeldung vom 08.10.2007
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Freigeschaltet durch Jens BrehlEs ist ein Kampf mit offenem Visier. Franz Müntefering stellt sich der Mehrheit seiner Partei entgegen, die den von Gerhard Schröder eingeschlagenen Reformkurs verlassen will. An vorderster Front seiner Gegner steht kein geringerer als der SPD-Chef. Dem Pragmatiker Kurt Beck, der nebenbei einer sozial-liberalen(!) Koalition in Mainz vorsteht, mag es widerstreben, den nachweislich erfolgreichen Agenda-Kurs aufzugeben.
Als Parteichef aber glaubt er zu wissen, dass die Schröder-SPD gegen den Widerstand der Gewerkschaften und in Konkurrenz zu Lafontaines Linkspopulisten bei den kommenden Wahlen nicht bestehen kann. Noch wird der Konflikt im wesentlichen über die Medien ausgetragen, doch zum Schwur kommt es Ende des Monats auf dem Parteitag in Hamburg. Nichts spricht dafür, dass die Delegierten ihrem Vorsitzenden die Gefolgschaft verweigern könnten. Nicht etwa, weil Beck seine Partei so erfolgreich führte. Außer miserablen Umfragewerten hat er bisher nichts vorzuweisen. Doch kann die Basis nicht riskieren, nach Schröder, Müntefering und Platzeck den vierten Vorsitzenden binnen weniger Jahre zu verschleißen. Müntefering, die Fleisch gewordene Geradlinigkeit, wird nach dem Parteitag nichts bleiben als der Rückzug.
Bisweilen entsteht der Eindruck, es gehe um einen Kampf Müntefering gegen den Rest der SPD. Dieses Bild ist unvollständig. Mit Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier hat der Arbeitsminister durchaus potentielle Mitstreiter. Beide aber haben sich in der aktuellen Auseinandersetzung in die Büsche geschlagen, um am Ende nicht zu den Verlierern zu zählen. Von Prinzipientreue zeugt das nicht. Müntefering steht alleine im Feuer.
Denn auch die Kanzlerin schweigt. Sie hat in der Tat die Wahl zwischen Pest und Cholera. Stellte sie sich hinter Müntefering, brächte sie Beck und die Mehrheit der SPD gegen sich auf. Stützte sie Becks Kurs, bedeutete dies den offenen Affront gegen ihren Vizekanzler. Beide Varianten würden die krisenhafte Lage der großen Koalition noch einmal dramatisch verschärfen. Angela Merkel aber kann kein Interesse daran haben, dass die SPD-Krise das ganze Regierungsbündnis und damit auch die Union erfasst.
Quelle: Pressemitteilung Wiesbadener Kurier