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BERLINER MORGENPOST: Zu den geheimen Pentagon-Papieren und Wikileaks

Archivmeldung vom 27.07.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 27.07.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Was wissen wir? Oder noch wichtiger: Was wollen wir eigentlich wirklich wissen? Wir wissen, dass in Afghanistan Krieg geführt wird. Das bedeutet, Menschen mit Waffen schießen auf Menschen mit Waffen - und töten sie. Wollen wir das wissen? Wir wissen, dieser Krieg ist ein Guerilla-Krieg. Das heißt, Zivilisten und Kombattanten sind kaum unterscheidbar, sollen es aus Sicht des "Feindes", der Taliban, auch gar nicht sein. Also sterben Zivilisten. Getötet auch von Soldaten unserer Allianz. Wollen wir das wissen?

Wir wissen: Ein solcher Guerilla-Krieg ist militärisch kaum zu gewinnen. Schon gar nicht in Afghanistan. Engländer, Sowjets - keiner hat das geschafft. Unsere Soldaten werden wahrscheinlich scheitern, unsere Politiker vielleicht. Wollen wir das wissen? Die Dokumente, die nun vom Internet-Enthüller Wikileaks veröffentlicht wurden, belegen all das, was wir im Grunde bereits wissen. Viel wichtiger ist deshalb, wie schonungslos sie offenlegen, dass wir all das in einem politischen Sinne systematisch seit beinahe zehn Jahren in Wahrheit gar nicht wissen wollen. Der Diskurs um den militärischen Einsatz am Hindukusch wurde von den politisch Verantwortlichen systematisch weichgespült durch Geschichten vom Schulenbauen, Mädchen-in-die-Bildung-retten und Drogenfelder-Roden. Und das hat erschreckend gut funktioniert. Eingehegt in eine militärisch unrealistische "Krieg-Gegen-den-Terror-Rhethorik" nach dem 11. September. Brandbeschleunigt durch eine hollywoodverbrämte Fantasie vom modernen, antiseptischen High-Tech-Krieg. In dem Drohnen als fliegende Waffen die Arbeit machen und grünstichige Medien-Bilder von Nachtsichtgeräten die Wahrnehmung von dem ablenken, was Krieg bedeutet: blutende Wunden auf beiden Seiten - und Tote im Staub eines fernen Landes. Man kann das alles wollen. Es gibt zweifellos sehr wichtige, wenn auch komplexe politische Gründe für diesen Krieg. Bündnis-Raison innerhalb der Nato, Geopolitik zwischen Indien, Kaukasus und Pakistan. Aber die Lebenslüge vom humanitären Beglückungseinsatz belastet nicht nur unseren politischen Diskurs, dem nicht zuletzt ein absurd unzureichendes Bundestagsmandat für den Einsatz entsprang. Sie belastet vor allem auf unerträgliche Weise all jene jungen Männer und Frauen, die diesen Krieg führen müssen. Denn sie haben von Beginn an eine realitätsferne Erwartungshaltung aus der Heimat im Nacken, die sie auf einem veritablen Schlachtfeld allein lässt, sobald die Lüge vom THW-Einsatz offensichtlich wird. Afghanistan galt als "guter" Krieg, der Irak-Krieg als schlechter. Historisch scheint sich das gerade umzudrehen. Der Gute wird zum Desaster. Er hätte möglicherweise nie gestartet werden dürfen. Das Problem ist nur, dieser Krieg muss jetzt eben doch gewonnen werden. Dazu gehört, konsequent hinter den Soldaten zu stehen. Und zwar in vollem Bewusstsein der Tatsache, was Kriegführen bedeutet. Und es bedeutet vor allem, die politischen Hausaufgaben zu erledigen und dem "failing state" Afghanistan, dessen Schicksal wir an uns gerissen haben, wirtschaftlich massiv zu helfen. Damit das gelingt, müssen wir die Wahrheit endlich wissen wollen. Die Wikileaks-Dokumente können dabei helfen.

Quelle: BERLINER MORGENPOST

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