Weser-Kurier:Parteiräson vor Staatsräson
Archivmeldung vom 01.10.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein - wenn man das biblische Motto anwendet auf das unsägliche Gezerre, das um die Nachfolge der Generalbundesanwältin stattfindet, müssten sämtliche Parteien die Arme schuldbewusst unten lassen. Diese parteiübergreifende Verlogenheit, dieses so offensichtliche Kalkül, dieses völlige Fehlen der Frage nach dem geeignetsten Kandidaten ist ein weiterer eindrucksvoller Beitrag dazu, die Politikverdrossenheit im Lande noch einmal zu verschärfen.
Ausgerechnet bei der Besetzung jenes Spitzenpostens, der für die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie von ganz entscheidender Bedeutung ist, weckt man erhebliche Zweifel, wie verteidigenswert dieses Parteiensystem denn überhaupt noch ist. Dabei sind Kompetenzen und Verfahren sehr klar geregelt. Organisatorisch gehört der Generalbundesanwalt zur regierungsabhängigen Exekutive und nicht zur unabhängigen Rechtsprechung. Das Justizministerium schlägt deshalb in Abstimmung mit dem Bundeskabinett einen Kandidaten vor, der aber vom Bundesrat bestätigt werden muss. In einem föderalen System macht das Sinn, denn der Generalbundesanwalt hat zwar kein Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften der Länder, er kann aber sehr wohl Verfahren aus deren Bereich an sich ziehen. Auch das ist sinnvoll, da sich Terroristen, Extremisten oder Spione in ihrer Tätigkeit gemeinhin nicht von Landesgrenzen einschränken lassen. Hier aber sind wir beim springenden Punkt. Der Generalbundesanwalt jagt keine Autodiebe, Trickbetrüger, Steuerhinterzieher oder gewöhnliche Gewalttäter. Er jagt die rücksichtslosesten, entschiedensten Gegner unseres Gemeinwesens - Menschen, die im Zweifelsfall dessen völlige Vernichtung anstreben. Angesichts dessen sollten die demokratisch legitimierten Entscheidungsträger den größtmöglihen gemeinsamen Nenner suchen und sich von parteitaktischen Erwägungen weitestgehend frei machen. Genau das Gegenteil ist geschehen. Die liberale Justizministerin präsentierte einen liberalen Kandidaten, der als Stuttgarter Regierungspräsident sogar der neuen grün-roten Landesregierung ins Konzept passte: Die wollte ihn nämlich auf diese Weise sehr elegant loswerden. Und die Union ließ sich zusichern, dass dann aber einer der ihren Präsident des Bundesfinanzhofs wird. Gegenwind kam von SPD-regierten Ländern, die plötzlich "fachliche" Zweifel am Kandidaten plagten. Dabei ging es eher darum, die neuen Machtverhältnisse im Bundesrat zu demonstrieren. Dass sie das tut, kann man der Opposition natürlich nicht generell vorwerfen - wohl aber, dass sie es gerade bei dieser Personalie tut. Und dass sie so verlogen argumentiert: Vergleicht man nämlich den Werdegang des gescheiterten Kandidaten mit dem der scheidenden Amtsinhaberin, sind die vermeintlichen fachliche Defizite kaum auszumachen. Beide waren Staatsanwälte. Monika Harms machte Karriere am Bundesgerichtshof, Johannes Schmalzl leitete das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg - nicht eben eine schwache Qualifikation für das Amt des obersten Extremistenjägers. Statt nun wieder einen Kandidaten mit FDP-Parteibuch ins Spiel zu bringen, sollte man doch mal einen Parteilosen nehmen. Den gibt es ja, er ist sogar bestens eingearbeitet, seine Kompetenz ist über alle Zweifel erhaben. Doch der bisherige Vize Rainer Griesbaum wird wohl Vize bleiben - eben weil ihm als letzte Qualifikation für den Top-Job ein Parteibuch fehlt.
Quelle: Weser-Kurier (ots)