Lausitzer Rundschau: Regierungsbericht zur deutschen Einheit
Archivmeldung vom 25.09.2008
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.09.2008 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWer die neuen Bundesländer durch das Autofenster betrachtet, dem muss die Dauerdiskussion um eine Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West befremdlich erscheinen. Die Altstädte von Görlitz und Bautzen sind mittlerweile genauso topp wie die von Bamberg oder Schwäbisch-Hall.
Kein Wunder. Denn was da zwischen Ostsee und Thüringer Wald erstrahlt, wurde erst in den vergangenen 19 Jahren geschaffen. Die Fassaden sind zweifellos in Schuss. Doch dahinter bleibt noch viel zu tun. Gemessen an den ökonomischen Grunddaten hinkt der Osten dem Westen weiter hinterher. Das Wachstum ist deutlich niedriger und die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch. Aber die Relation lässt hoffen: Wenn heute in den neuen Ländern eine halbe Million Menschen weniger zum Kundenkreis der Arbeitsagenturen zählt als noch vor drei Jahren, dann hat das auch mit erfolgreichen Industrieansiedlungen und einer gezielten Förderpolitik zu tun. In Zukunftsbranchen wie der Solarwirtschaft braucht der Osten jedenfalls keinen Nachhilfeunterricht. Solche Erfolge stehen allerdings nicht für die gesamte ostdeutsche Wirklichkeit. Es gibt Boom-Regionen, und es gibt strukturschwache Gebiete. Das Problem ist, dass letztere deutlich überwiegen. Und bei nüchterner Betrachtung dürfte sich daran auch in Zukunft kaum etwas ändern. Wer jünger ist und fit, zieht der Arbeit hinterher. Wer das nicht kann oder will, bleibt in Hartz-IV-Hochburgen zurück. Nicht zuletzt aus solchen Tatsachen speist sich bei vielen Neubundesbürgern das Gefühl, Deutscher zweiter Klasse zu sein. Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass die Stimmung im Osten mitunter schlechter als die Lage ist. Ostdeutsche Rentner sollten wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass ihre gesetzlichen Altersbezüge sowohl bei Frauen als auch bei Männern deutlich über denen in den alten Ländern liegen. Seit dem Mauerfall kreisen alle Regierungsberichte zur deutschen Einheit immer wieder um die gleiche Frage: Ist das Glas im Osten nun halbleer oder halbvoll? Bislang lässt sich festhalten, dass die neuen Länder dank eigener Anstrengungen und durch massive Finanzhilfen aus dem Westen weit vorangekommen sind. Aber die Mittel aus dem Solidarpakt werden in den nächsten zehn Jahren kontinuierlich auf Null gefahren. Sage also keiner, der Osten könne sich dauerhaft auf Alimentierung einrichten. Im Gegenteil. Der Druck für einen selbst tragenden Aufschwung wird dramatisch wachsen. Fast zwei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit gibt es Licht und Schatten. Eine Betrachtung nur durch die Autoscheibe wird der Entwicklung genauso wenig gerecht wie notorische Schwarzseherei.
Quelle: Lausitzer Rundschau