Leipziger Volkszeitung zu den Irak-Geiseln
Archivmeldung vom 15.04.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 15.04.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Nachrichtenlage rund um die Entführung der Leipziger Techniker im Irak ist angespannt und karg. Da ist bei jeder Meldung, die sich auf nicht genau verifizierbare Quellen beruft, zunächst Skepsis angebracht. Schon einmal, so hatte es ein großes Online-Magazin recherchiert, stand angeblich die Freilassung der Cryotec-Mitarbeiter kurz bevor.
Das war vor zwei Monaten, der
Optimismus von damals erwies sich als trügerisch. Seitdem tröpfeln
die Lebenszeichen von René Bräunlich und Thomas Nitzschke noch
spärlicher. Das letzte kam per Videobotschaft vor knapp einer Woche
und hat nicht nur Angehörigen, Freunden und Mitarbeitern die tödliche
Gefahr dramatisch vor Augen geführt.
Nun steht also eine Lösegeldforderung im Raum. Auch in diesem Fall
muss das "offenbar" zwingend mit angeführt werden. Aber nach
wochenlangem Rätselraten über die Motive der Kidnapper ist das
wenigstens ein Strohhalm, an den sich die betroffenen Familien der
Entführten klammern können. Und mit ihnen all jene, die Woche für
Woche bei Mahnwachen und Friedensgebeten in Leipzig öffentlich
Solidarität und ihr Mitgefühl bekunden.
Die Freilassung der Techniker wäre sein schönstes Ostergeschenk,
hatte Nikolaikirchen-Pfarrer Christian Führer in einer Predigt erst
kürzlich gesagt. Die sich jetzt möglicherweise deutlicher
abzeichnenden Hintergründe der Entführung können zumindest ein
Puzzle-Stück auf dem Weg dahin sein. Ob die nun publik gewordene
Lösegeld-Spekulationen dabei hilfreich sind, sei jedoch
dahingestellt. Mit Sicherheit machen sie die Verhandlungsführung der
Bundesregierung nicht einfacher.
Das Dementi aus dem Auswärtigen Amt ist deshalb logisch und
konsequent. Vor allem ist es im Sinne der Geiseln und ihrer
unversehrten Befreiung. Warum sollte eine Regierung bei brisanten
Kontakten mit Kidnappern oder deren Hintersmännern die Karten auf den
Tisch legen und ihre Strategie öffentlich machen? Es gibt keinen
Grund dafür. Vorrang hat die Gesundheit der Entführten. Und da ist
taktisches Schweigen oft besser als öffentliches Spekulieren.
Insofern greifen die lauter werdenden Vorwürfe gegen die angebliche
Untätigkeit des Krisenstabes zu kurz. Sicher, sie sind emotional
verständlich. In Anbetracht der verrinnenden Zeit kann sich niemand
auch nur annähernd vorstellen, was in einer Mutter vorgeht, die seit
Wochen um das Leben ihres einzigen Sohnes bangt.
Rational ist die Pauschalkritik, die vor allem im Cryotec-Umfeld
geäußert wird, nicht nachvollziehbar. Und schon gar nicht der
Vorwurf, dass die aktuelle Entführung vom Außenministerium im
Gegensatz zu den Fällen Susanne Osthoff und Jürgen Chrobog als eine
zweiter Klasse behandelt werde.
Bei der Archäologin Osthoff im Irak und beim Ex-Staatssekretär
Chrobog im Jemen zeichneten sich die Gründe ihrer Geiselnahme viel
schneller und deutlicher ab, als bei den Leipziger Technikern. Das
macht ihren Fall so extrem kompliziert. Voreilige Schuldzuweisungen
aus sicherer Entfernung vom Geschehen sind deshalb völlig fehl am
Platz.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung