LVZ: Zur Mehrwertsteuer schreibt die Leipziger Volkszeitung
Archivmeldung vom 20.05.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDer bequemste Weg einer schlechten Haushaltspolitik führt zu immer mehr Schulden. Fast ebenso schädlich ist die billige Flucht in Steuererhöhungen. Da hat die Opposition - und mit ihr viele Besserwisser und Experten - durchaus Recht.
Doch
schon beim Blick auf fast alle Länderhaushalte, in die leeren Kassen
der Kommunen und in die Haushaltsbücher des Bundes wird eines
klar:Die Lage ist derart desaströs, dass nur der große Schnitt hilft,
keinesfalls das immer neue Schönreden der Probleme. Die große
Koalition hat sich, trotz gegenteiliger Versprechen im Wahlkampf, zur
größten Steuererhöhung der Nachkriegszeit entschlossen. Dafür darf
sie mit Recht scharf kritisiert werden. Vorausgesetzt, es werden
Argumente aufgeboten und nicht Parolen aus der Serie:Ich wünsch mir
was! Zumindest bei der Frage der Erhöhung der Mehrwertsteuer hat sich
schon seit Jahren eine Allianz der augenzwinkernden Realpolitiker
herausgebildet. Alle haben sie nur auf die Konstellation gewartet,
die sich traut, das öffentlich zu sagen, was (fast) alle als
unausweichlich eingeschätzt haben.
Die bequemste und schlechteste Form von Politik ist das, was den
lautstärksten Gegnern der großen Mehrwertsteuer-Koalition einfällt.
Bei einem strukturellen Etat-Defizit von 60 Milliarden Euro jährlich
versprechen die größten Populisten im Land, sie würden die Mehrsteuer
nicht erhöhen, sie würden die Steuern allgemein senken, sie würden
keine Einschnitte bei den größten Staatsausgaben - Rentenzuschüsse -
vornehmen und trotzdem für alle Milch und Honig verteilen können. Das
ist ungefähr so überzeugend wie die Nachricht, Guido Westerwelle habe
die Eier legende Wollmilchsau bei der Quadratur des Kreises
getroffen.
Das alles auf einmal zu verkünden - aus der sicheren Distanz einer
Opposition oder eines Ratgebers, der nicht zur Rechenschaft gezogen
werden kann - ist nicht einmal mehr frech wie Oskar. Das kommt schon
nahe an die Volksverdummung heran. Aber auch das gehört zum
Grundrecht der Opposition.
Im Umkehrschluss wird daraus aber kein Freibrief für die Tarner,
Trickser und Täuscher, die im Regierungsgewand das Gegenteil dessen
tun, was sie im Wahlkampf gefordert haben. Sozialdemokraten sollten
besser zur Mehrwertsteuer bis auf Weiteres gar nichts sagen. Und
Merkels Union, die noch vor einem halben Jahr eine Steuererhöhung zur
Haushaltskonsolidierung strikt ausgeschlossen hat, ist nicht viel
besser. Eigentlich gibt es in dieser Steuerfrage die größte aller
denkbaren Koalitionen:Das Allparteien-Kartell der Märchenerzähler.
Doch das muss nicht so bleiben. Nicht alles ist falsch, was jetzt von
Union und SPDangerichtet wird, weil der Kompass neu ausgerichtet
wird:Senkung der Lohnnebenkosten, ein Mix aus Ausgabenkürzungen und
Einnahmesteigerungen, um der strukturellen Etatkrise Herr zu werden.
Wenn jetzt der Streit darüber beginnt, was an welcher Stelle noch
stärker korrigiert werden muss, wäre die Politik der Wirklichkeit ein
gutes Stück näher gekommen.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung