WAZ: Verhältnis Deutschland - China Angst vor Nachahmern
Archivmeldung vom 19.11.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 19.11.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSo eine Kränkung wird Folgen haben. Die deutsche Regierung wird sich sehr anstrengen müssen, damit sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern wieder verbessern. Dies ist die Botschaft, die chinesische Diplomaten in Peking bei jeder Gelegenheit wiederholen, nachdem Kanzlerin Merkel den Dalai Lama in ihren Amtsräumen empfangen hatte.
Die Hoffnung Berlins, dass der Pekinger
Zorn schnell verrauchen würde, hat sich bislang nicht erfüllt.
Die Empörung über die deutsche Regierung trägt Peking nun auch in
die heimische Öffentlichkeit. In den staatlich gelenkten Zeitungen,
die Merkel noch vor wenigen Monaten als "eiserne Lady" gepriesen
hatten, erschienen in den letzten Tagen große Artikel mit - zum Teil
wenig schmeichelhaften - Fotos der deutschen Politikerin. Das
Parteiblatt "Global Times" und andere Magazine werteten den
Dalai-Lama-Empfang als Symptom einer grundsätzlichen Wende in der
China-Politik der Merkel-Regierung: Die ehemalige Ostdeutsche wolle
die Chinesen in ihre Schranken weisen, sich wieder stärker in eine
Front mit den USA stellen und den Aufstieg Chinas zu einer politisch
und wirtschaftlich führenden Weltmacht behindern.
Die chinesische Regierung fürchtet auch, dass Merkels Beispiel
Schule macht und andere Regierungschefs den Dalai Lama empfangen
könnten, nachdem er in jüngster Zeit bereits in Wien, Washington und
Ottawa zu Gast war. Zwar hat das frostigere politische Klima die
deutsch-chinesischen Geschäfte bislang nicht belastet, wie Kaufleute
in Peking berichten. Aber das Kalkül der chinesischen Politiker ist
es offenbar, einen Keil zwischen die Europäer zu treiben.
Frankreiches Präsident Nicolas Sarkozy wird in den nächsten Tagen in
Peking erwartet und dürfte mit lukrativen Wirtschaftsverträgen wieder
nach Hause fahren.
Zur neuen Merkel-Politik passe, so heißt es, eine kritischere Haltung in der deutschen Öffentlichkeit gegenüber Peking. Hätten die Deutschen in China früher vor allem den lockenden Markt gesehen, fürchteten sie sich nun vor der wachsenden wirtschaftlichen Konkurrenz. Letzte Woche demonstrierten einige Dutzend Chinesen in Hamburg gegen Berichte des "Spiegel", der unter dem Titel "Die gelben Spione" über chinesische Hacker-Attacken und Industriespionage berichtet hatte. Chinas Politikern und Diplomaten, die an die gelenkte Presse gewöhnt sind, ist der Gedanke völlig fremd, dass solche Berichte nicht von der Berliner Regierung veranlasst wurden, sondern von einer unabhängigen Redaktion stammen.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung