EU-Boykott treibt Ölpreis an
Archivmeldung vom 13.08.2022
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Freigeschaltet durch Sanjo BabićDie Internationale Energieagentur IEA, die die westlichen Industrieländer in Fragen der Energiepolitik berät, hat für ihre Zielgruppe eine schlechte Nachricht. Wenn die Europäische Union wie geplant Anfang 2023 ihr relativ weitgehendes Verbot der Einfuhr russischen Erdöls umsetzt, wird dies den globalen Ölmarkt und in der Folge den Preis des Energieträgers in einer Weise beeinflussen, der für die EU nicht vorteilhaft ist. Die IEA geht davon aus, dass dem Markt dann rund 2 Mill. Barrel pro Tag (bpd) entzogen werden. Zuletzt hatte Russland über Tankschiffe - dieser Bereich ist von dem EU-Verbot umfasst - rund 3,5 Mill. bpd exportiert. Sollte die IEA recht behalten, wird der EU zwar nicht die vollständige Isolierung Russlands auf dem Ölmarkt gelingen, aber die Folgen dürften deutlich spürbar sein. Es ist mit weiteren kräftigen Anstiegen des Ölpreises zu rechnen.
Sieht man sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage an, so hat es bereits zuletzt eine deutliche Angebotslücke gegeben, die mit rund 2 Mill. bpd zu veranschlagen ist. Nun allerdings ist mit einer Rezession zu rechnen, in deren Folge die Nachfrage nach Öl sinken wird. Der Markt bildet dies auch ab: In kurzer Zeit ist der Brent-Ölpreis von rund 110 Dollar je Barrel auf zeitweise unter 95 Dollar gesunken.
Für die 2 Mill. bpd an russischem Öl, die laut IEA fehlen werden, ist kein Ersatz in Sicht. Die Opec plus, dieser Ansicht ist auch die Energieagentur, wird kaum bereit und in der Lage sein einzuspringen. Für den September hat sich das erweiterte Ölkartell trotz erheblichen Drucks der US-Regierung nur zu einer symbolischen Anhebung um 100000 bpd durchringen können. Viele Opec-Länder verfügen praktisch über keinerlei freie Kapazitäten mehr, um die Produktion auszuweiten. Andere Staaten wie das Schwergewicht Saudi-Arabien sind dazu nur in begrenztem Maß bereit, einerseits wegen des schlechten Verhältnisses zum Weißen Haus und andererseits, um das für die Opec plus "wichtige Verhältnis zu Russland nicht zu zerstören. Und die Verhandlungen zwischen den USA und dem Iran stecken in der Sackgasse, größere Mengen iranischen Öls auf dem Weltmarkt sind daher nicht zu erwarten.
Hinzu kommt, dass die von US-Präsident Joe Biden verfügte Alimentierung des Ölmarktes aus der strategischen Reserve der Vereinigten Staaten um 1 Mill. bpd am 31. Oktober zu Ende geht, was das Gesamtangebot zur Unzeit verkleinert. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die USA ihre Reserve wieder auffüllen müssen, dass also in den kommenden Monaten zusätzliche Nachfrage geschaffen wird.
Nach Einschätzung der IEA wird noch ein weiterer Faktor für einen zusätzlichen Ölverbrauch sorgen. Die durch den Ukraine-Krieg und die westlichen Sanktionen ausgelöste Gaskrise hat diesen Energieträger so stark verteuert, dass Industrie und Kraftwerksbetreiber so weit wie möglich auf andere Energiequellen ausweichen, unter anderem auf das relativ preisgünstigere Rohöl. Für das laufende Jahr geht die Agentur jetzt von einem Wachstum der weltweiten Ölnachfrage um 2,1 Mill. bpd aus, dies sind 380000 bpd mehr als bislang erwartet.
Das kommende EU-Verbot sorgt noch auf andere Weise für einen steigenden Ölpreis. Es kommt unweigerlich zu einer Neuordnung der weltweiten Lieferbeziehungen: Europa kauft sein Öl bei neuen Lieferanten, Russland findet neue Abnehmer vornehmlich in Asien, und überall halten neue Mittelsmänner zusätzlich die Hand auf. Dies führt zu erheblichen Ineffizienzen und Friktionen auf dem Markt.
Dabei ist es zweifelhaft, dass Russland der gewünschte Schaden beigebracht und damit die Finanzierung des Ukraine-Kriegs gefährdet wird. Die Angelegenheit dürfte ungefähr so ausgehen wie bei Erdgas: Russland wird zwar weniger Öl exportieren, dafür aber durch den höheren Ölpreis teilweise oder sogar ganz entschädigt. Die Sanktionen werden über den steigenden Ölpreis vor allem die europäischen Verbraucher zusätzlich treffen.
Wie stark wird aber der Ölpreisanstieg ausfallen? Im Frühjahr, als die Diskussion über einen Ölboykott der EU und der G7-Länder aufkam, prognostizierte J.P. Morgan bei vollständiger Umsetzung einen Brent-Ölpreis von 187 Dollar je Barrel - damals zeichnete sich allerdings die nachfragedämpfende Rezession noch nicht so klar ab. Unterstellt man eine Reduzierung der russischen Ölexporte gemäß dem IEA-Szenario, so ist nicht auszuschließen, dass ein Ölpreis von 140 Dollar erreicht wird.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Dieter Kuckelkorn