WAZ: Gezielte Förderung von Jungen: Power Girls und Loser
Archivmeldung vom 19.12.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMädchen sind anders. Viele Eltern bemerken das erstaunt erst dann, wenn ihr Sohn eine Schwester bekommt oder die Tochter einen Bruder. Mädchen sind in der Regel weniger laut als Jungen, stellen Eltern dann fest, weniger wagemutig und weniger aggressiv.
Sie kuscheln meist lieber als ihre Brüder, sie
interessieren sich für Spiele und Bücher, die diese niemals angucken
würden, sie lösen Probleme anders als Jungen und sie lernen anders.
Deshalb haben es Mädchen schwer. In einer Männerwelt. Und deshalb
werden sie seit 30 Jahren speziell gefördert. Mit Recht - und mit
Erfolg. Heute machen Mädchen deutlich bessere Schulabschlüsse als
Jungen, sie werden sehr viel weniger häufig straffällig und sie
bringen sich längst nicht so oft um wie ihre männlichen
Altersgenossen.
War das so gewollt? Dass aus unseren Mädchen starke Power-Girls
werden und aus unseren Jungs die Loser, die armen Kerle, die nun das
Nachsehen haben? Bundesjugendministerin von der Leyen erklärte noch
im September öffentlich, sie fände es nicht schlimm, "dass Mädchen in
Sachen Bildung an den Jungen vorbeiziehen". Doch schon 1998 warnte
der renommierte Harvard-Psychiater William Pollock nach einer Serie
von Bluttaten an amerikanischen Schulen vor einer "großen nationalen
Krise des Knabenalters".
Selbst wenn uns eine solche nicht erwartet:
Sicher ist, dass es auch Jungs schwer haben - in einer zunehmend
weiblicher werdenden Gesellschaft. Zwischen Macho und Softie die
eigene Rolle zu finden, ist nicht leicht, vor allem dann nicht, wenn
es an männlichen Vorbildern fehlt. In vielen Familien ist der Vater
bestenfalls noch eine Randfigur, in Kindergarten und Grundschule
bestimmen Erzieher-innen und Lehrerinnen das Bild.
Wenn aber Identifikationsfiguren im Alltag fehlen, suchen Jungen
sie sich woanders. Im Fernsehen, im Computer. Der Konsum virtueller
Gewalt ist ein Jungen-Problem - und Schlüssel zur Erklärung der
Bildungskrise junger Männer, sagt der Kriminologe und Medienforscher
Christian Pfeiffer. Als alleinige Erklärung reicht das nicht; selbst
wenn man weiß, dass der Amokläufer von Emsdetten Fan von
Counterstrike & Co. war.
Ein beizeiten nach Geschlechtern getrennter
Unterricht allein hätte allerdings die Bluttat sicher auch nicht
verhindert.
Mädchen sind anders. Jungen auch. Und nur gemeinsam sind sie stark. Daher hat jedes Kind Anspruch darauf, mit seinen ganz eigenen Stärken, Schwächen und Nöten wahr- und ernstgenommen zu werden.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung