Börsen-Zeitung: Das 100-Milliarden-Loch
Archivmeldung vom 06.11.2018
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Freigeschaltet durch André OttDer hanseatische Kaufmann zeichnet sich neben Ehrbarkeit im Handeln, Anstand, Verlässlichkeit und sozialer Verantwortung als Basis nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolges sowie Weltoffenheit nicht zuletzt durch Verschwiegenheit aus. Zu den herausragenden Tugenden eines Verbandspräsidenten wiederum gehört es, die Hohe Schule der Diplomatie zu beherrschen. Hans-Walter Peters, Chef und Mitinhaber der Hamburger Traditionsbank Berenberg, ist, wiewohl nicht in Hamburg geboren, zweifellos eine Inkarnation des hanseatischen Kaufmanns.
Und er ist Präsident des Bankenverbandes. Doch am Montag hat er Diskretion und Diplomatie zu Hause gelassen und mal kurz in einem kontrollierten Ausbruch die Contenance verloren. Gut gebrüllt! Peters wirft der EZB "geldpolitische Exzesse" vor und zerpflückt regelrecht ihre Argumentation und den "Anachronismus" der Negativzinsen eingedenk von Teuerungsraten mit einer 2 vor dem Komma und einer seit 22 Quartalen ununterbrochen wachsenden Euro-Wirtschaft. Zudem konstatiert er, die italienische Regierung setze sich "unverfroren über europäische Regeln hinweg" und missbrauche das Vertrauen der Partner.
Solche Fakten zur Kenntnis zu nehmen und sich maßlos darüber zu ärgern, sind das eine. Sie coram publico anzuprangern, ist etwas anderes. Man hat aus diesem Spitzenamt im privaten Bankenlager - von den Verbandsspitzen der Sparkassen und der Kreditgenossen schon eher - so erfreulich klare Worte zu diesen Themen lange nicht gehört.
Warum Peters gegen die EZB vom Leder zieht, ist leicht zu verstehen: Die Auswirkungen von Niedrig-, Null- und Negativzinsen auf die Erfolgsrechnungen der Banken überschreiten längst die Schmerzschwelle. Seit 2014, so rechnet der Bankenpräsident vor, haben die Institute im Euroraum fast 20 Mrd. Euro an negativen Einlagezinsen an die EZB gezahlt. Die US-Notenbank wird derweil von 2014 bis Ende dieses Jahres umgerechnet 80 Mrd. Euro an positiven Zinsen an die amerikanischen Geschäftsbanken vergütet haben. Dieses 100-Mrd.-Euro-Loch erklärt nicht alles, aber sehr vieles, wenn Vergleiche etwa von Erträgen und Börsenwerten der Banken dies- und jenseits des Atlantiks angestellt werden. Und die "verantwortungslose" Politik Italiens droht nun die Bankensysteme auch in europäischen Nachbarländern weiter zu schwächen.
Wenn dann noch von europäischen Aufsehern eine mangelnde Profitabilität hiesiger Banken kritisiert wird, darf Betroffenen und ihren Interessenvertretern schon mal die Hutschnur reißen. Hanseat hin, Präsident her.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Bernd Wittkowski