Rheinische Post: Die SPD plant die Zeit nach Beck
Archivmeldung vom 23.07.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas politische Berlin ist in den Ferien. Zurück bleiben die "Stallwachen". Wobei Stall eine unpassende Bezeichnung für die glitzernden Glaspaläste des Regierungsviertels ist, trutzige Festungen so gar nicht geliehen wirkender Macht.
Alles wirkt friedlich. Die jüngsten Meinungsumfragen signalisieren
große Zufriedenheit der breiten Bevölkerung mit der großen Koalition.
Die Kanzlerin schwebt mit 85 Prozent Zustimmung über allen Wassern;
ihre Union freut sich über die erstmals seit langem prognostizierten
40 Prozent. Die Wirtschaft brummt, die Sonne scheint zumindest
gelegentlich. Also umdrehen auf der Strandliege und weiter dösen?
Angela Merkel sollte das nicht tun, so sehr wir ihr den Urlaub
gönnen. Bei ihrem Koalitionspartner brodelt es, Gefahr für das
Regierungsgeschäft zieht auf. Bis zu einem Koalitionsbruch und einer
rot-rot-grünen Konstellation unter einem SPD-Kanzler, der nicht Kurt
Beck heißt, reichen die Szenarien.
Denn die Sozialdemokraten sind verunsichert, wenn nicht
demoralisiert. Ihr Vormann Beck gilt ihnen wie vielen im Lande als
Ausfall. Auf jeden Fall scheint er manchen in der SPD der falsche
Mann zu sein, um der linken Gefahr in Gestalt von Oskar Lafontaine zu
begegnen. Die anderen in der SPD sehen in Beck nicht mehr den
Richtigen, um der linken Verlockung eines SPD-Kanzlers von
Lafontaines Gnaden den Weg zu bahnen. Nun werden neue Rechnungen
aufgemacht, die auch alte Rechnungen begleichen sollen. Die jüngste
Überlegung lautet: Vizekanzler Franz Müntefering habe vor kurzem mit
seiner keineswegs unbedachten Interview-Äußerung, der nächste
SPD-Kanzlerkandidat müsse erst in einem Jahr feststehen, die Jagd auf
Beck freigegeben.
Aufmerksam registrieren die Sozialdemokraten, was seitdem geschah.
Finanzminister Peer Steinbrück erklärte, der nächste Kanzlerkandidat
werde Beck heißen. Dabei ahnt jeder in Berlin, dass Steinbrück nur
einen für kanzlertauglich befindet - sich selbst. "Er will", sagt
einer, der es wissen könnte.
Umweltminister Gabriel gab sich ebenfalls als Beck-Freund, bevor er
zur Sommerreise aufbrach. Sie führte ihn von der Zugspitze bis ans
Meer. Ganz so sehen Terminkalender von Kanzlerkandidaten aus. Die
Tour brachte Gabriel neue Erkenntnisse, vor allem aber katapultierte
sie ihn auf viele Zeitungsseiten. Außenminister Frank-Walter
Steinmeier versucht mit Sacharbeit zu punkten. Doch ist es kein
Geheimnis mehr, dass enge Berater für ihn ein politisches Thema
suchen, damit er sich gegenüber der Kanzlerin und gleichzeitig
gegenüber der eigenen Partei profilieren kann. Das Kalkül: Nur wenn
sich der Außenminister vom Ruch des Merkel-Zuarbeiters befreit, hat
er eine Chance auf die Kandidatur.
In der SPD-Linken und auf Seiten der noch sozialdemokratisch
gesinnten Gewerkschaftsbosse wird derweil nach einem Gegengift für
Oskar Lafontaine gesucht. Eine schrille Option: mit einer linken Frau
gegen die Kanzlerin in den Wahlkampf zu ziehen. Immerhin wird Andrea
Nahles in diesem Herbst stellvertretende Parteivorsitzende. Viel
hänge davon ab, ob SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti mit ihrem
Linkskurs bei der hessischen Landtagswahl 2008 den
Vorzeigekonservativen Roland Koch stürzen könne.
Zumal gleichzeitig in SPD-Kreisen fest erwartet wird, dass auch
CDU-Liebling Christian Wulff in Niedersachsen bei der ebenfalls 2008
stattfindenden Landtagswahl gegenüber seinem Erdrutschsieg von 2003
Punkte lassen muss. Das könnte die SPD-Linke dann als strategischen
Erfolg ihres Wortführers Wolfgang Jüttner, SPD-Spitzenmann in
Hannover, verbuchen. Auf jeden Fall würde die Möglichkeit eröffnet,
mit einer nach links geöffneten SPD die Linkspartei als
Koalitionspartner zu gewinnen.
Noch wirken die Sozialdemokraten unschlüssig. Doch die Kanzlerin darf
das nicht kalt lassen. Die 40-Prozent-Umfrage garantiert ihr keine
eigene Mehrheit bei der Bundestagswahl. Merkel muss Beck
stabilisieren helfen, indem sie der SPD (noch mehr) politische
Zugeständnisse macht. Nur dann kann sie in Ruhe ihre Wiederwahl
anstreben.
Schließlich ist die Union nicht wirklich gefestigt. Ihrer
konservativen Vormänner beraubt und auf Von-der-Leyen-Kurs, sonnt sie
sich im außenpolitischen Glanz der Kanzlerin. Das dürfte bei einer
Wahl allein nicht reichen. Der potenzielle Partner Westerwelle-FDP
wiederum scheint mit acht, neun Prozent sein Möglichstes erreicht zu
haben. Die Stallwachen sollten in ihrer Aufmerksamkeit nicht
nachlassen. Ferienzeit hin, Ferienzeit her.
Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post