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Frankfurter Neue Presse: zur Euroschuldenkrise

Archivmeldung vom 21.07.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 21.07.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Im dreizehnten Jahr ihres Bestehens steht die Europäische Währungsunion vor dem Zusammenbruch. Werden sich Europas Politiker entschließen, die Union zu Grabe zu tragen? Oder sind sie bereit, ihr neues Leben einzuhauchen, in dem sie die Gemeinschaft intensivieren? Das wird sich in den kommenden Wochen entscheiden.

Die Situation ähnelt der, in der sich 1790 die jungen Vereinigten Staaten von Amerika befanden. Auch die USA standen damals wegen ökonomischer Probleme vor der Auflösung. Einzelne Bundesstaaten wie Massachusetts und North Carolina hatten sich hoch verschuldet. Die Unsicherheit war so groß, dass selbst Veteranen des Unabhängigkeitskrieges Staatsanleihen verschleuderten, indem sie sich mit 15 Cent pro Dollar zufriedengaben. Letztlich ist es nur dem ersten US-Finanzminister Alexander Hamilton zu verdanken, dass die USA diese Krise überlebten. Er schlug vor, die ramponierten regionalen Anleihen durch eine neue, nationale Anleihe zu ersetzen, um die privaten Gläubiger zu bezahlen. Zugleich sollten die wirtschaftlich gesunden Bundesstaaten den kranken direkt helfen. Um seinen Plan durchzusetzen, verzichtete Hamilton schließlich auf den Anspruch seiner Heimatstadt New York, die Hauptstadt der USA zu werden. Der Rest ist Geschichte. Die USA erlebten eine lange Phase des Wohlstands, der Dollar wurde zur Welt-Reservewährung.

Die Eurozone könnte daraus ihre Lehren ziehen. Aber ihrem politischen Personal fehlt immer noch die Einsicht, dass die Staatsschulden-Krise inzwischen nicht nur das Problem einiger Länder der Eurozonen-Peripherie ist, sondern es sich um eine systemische Krise handelt: Die systemische Krise einer Währungsunion, die sich immer noch weigert, eine Fiskal-Union zu sein - so wie es die Architekten der Euro-Zone es seinerzeit avisiert hatten.

Aber in ihrem Kleinmut verweigern sich Merkel und Kollegen noch großen Reformen. Stattdessen schleppen sie sich von einer kurzfristigen Last-Minute-Reparatur zur anderen, um eine unmittelbare Zahlungsunfähigkeit eines Mitgliedsstaates abzuwenden. Damit nicht genug, untergraben sie auch noch ständig jedes neu aufkeimende Vertrauen der Finanzmärkte in Griechenland und andere Schuldnerländer, indem sie öffentlich über das Ende von Hilfen und einen Ausschluss aus der Euro-Zone spekulieren. So weitet sich die Krise in einem Tempo aus, das ihr politisches Tempolimit weit übersteigt - mit der fatalen Folge, dass sich die Regierungen der europäischen Geberländer verängstigt auf die Verteidigung nationaler Interessen zurückziehen.

Damit muss endlich Schluss sein. Es ist höchste Zeit, den europäischen Integrationsprozess wieder voranzutreiben, an dessen Ende eine gemeinsame Anleihe (Euro-Bond) und eine gemeinsame Fiskalpolitik unter einem gemeinsamen Finanzministerium steht - eine Perspektive, die auch EZB-Präsident Jean-Claude Trichet aufgezeigt hat.

Natürlich ist es bis dahin noch ein weiter Weg. Aber beginnen kann die Euro-Politik, indem sie den jüngsten Vorschlag der fünf Wirtschaftsweisen umsetzt. Heißt: Der Rettungsschirm EFSF tauscht die ausstehenden griechischen Anleihen zum heutigen Marktpreis gegen vom Fonds selbst begebene Anleihen ein. Das käme für die privaten Gläubiger einem Verzicht von rund der Hälfte des Werts gleich. Allerdings würde Griechenland diesen Schuldenverzicht erst nach und nach gutgeschrieben bekommen - wenn das Land die vorgegebenen Reformen erfolgreich vollzieht. Die Bedenken prominenter Volkswirte und Politiker, die Griechen würden im Falle einer solchen Unterstützung jegliche Reformbemühungen einstellen, wären damit zerstreut. Weitere Sicherheit würden die Geberländer erhalten, wenn die griechische Regierung ihre Hoheit über die Staatsfinanzen zeitweise auch an das zu gründende EU-Finanzministerium abgeben müsste, wenn die vereinbarten Sparvorgaben nicht erfüllt werden. Das ist auch in den USA üblich, wenn ein Bundesstaat vor der Pleite steht.

Die fünf Wirtschaftsweisen zeigen, dass eine gemeinsame Lösung sehr wohl möglich ist, wenn man sich offen dafür zeigt. Leider verschließen sich auch in Deutschland immer noch Viele einer großen Lösung, weil sie sich nicht vom einem ethnozentrischen Dogmatismus lösen können, der die eigene Wertgemeinschaft in den Mittelpunkt allen Handelns stellt und alle anderen Gemeinschaften nur daran misst, wie nahe sie den eigenen Regeln kommen - weil letztlich die eigenen Regeln als die einzig richtigen angesehen werden. Aber so kann auf Dauer weder die Euro-Zone noch die Europäische Union funktionieren.

Natürlich müssten Geberländer wie Deutschland zunächst für die griechischen Staatsschulden haften. Und natürlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Euro-Bond einer Transfergemeinschaft gleichkommt. Aber zum einen haben wir die heute schon - mit einer gemeinsamen Anleihe wäre sie nur institutionalisiert. Zum anderen sollten die politischen und ökonomischen Vorteile, die die Union auch Deutschland bietet, einiges Geld wert sein.

Wie viel Geld, das hängt auch davon ab, wie schnell Merkel und Co endlich auf den europäischen Weg zurückfinden. Je länger die Regierungen zögern, desto weiter laufen die Anleihespreads der verschiedenen Länder auseinander, desto teurer wird die Rettung der Gemeinschaft.

Merkel hat am Montag von der SPD politischen Flankenschutz erhalten für eine deutliche Ausweitung der europäischen Finanzpolitik. Diesen Schutz sollte die Tochter eines lutheranischen Pfarrers jetzt nutzen. Wie einst Martin Luther mit den Worten "Hier stehe ich und kann nicht anders" sich einer grundlegenden Reform zu widersetzen, hieße, Europa fallen zu lassen.

Quelle: Frankfurter Neue Presse (ots)

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