WAZ: Müntefering contra Beck SPD in der Hartz-IV-Falle
Archivmeldung vom 02.10.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittMan darf auf die Memoiren des Franz Müntefering gespannt sein, sofern sie denn geschrieben werden. Es wird das Buch eines Mannes sein, der mit Leib und Seele Sozialdemokratie lebt. Besonders interessant fiele das Kapitel aus, in dem er das Entstehen von Schröders Reformen beschreibt, die so viele enttäuscht aus der SPD trieben. Wie mag dem geborenen Sozialdemokraten zumute gewesen sein?
Wir wissen nur, wie Müntefering sich bis
heute verhält: Er steht fest zu den Reformen, während rings um ihn in
Parteiführung und Anhängerschaft in elementaren Punkten die
Schrödersche Welt erodiert. Es macht sich fest am Willen, die
Hartz-Regelung nachzubessern, und Beck geht voran.
Der Stachel im Fleisch schmerzt heftig: Wie soll man plausibel
erklären, dass Menschen, die Jahrzehnte lang Beiträge einzahlten, im
Fall der Arbeitslosigkeit mit denen gleichgestellt werden, die in
ihrem Leben keinen Handschlag taten? Und: Ist es gerecht (und im
Sinne der Forderung nach mehr Eigenvorsorge) vernünftig, dass jemand,
der für seinen Ruhestand sparte, die Altersvorsorge aufzehren muss?
Das lässt sich mit Sozialversicherungslogik erklären, mit
"klassischer" Sozialdemokratie nicht.
Das ist die Achillesferse. Rüttgers, "Arbeiterführer" von eigenen
Gnaden, begriff dies früh. Lafontaines Linke natürlich erst recht.
Beck sieht nun die Partei zwischen der Linken und der Union, die von
der Sozial- bis zur Familienpolitik listig SPD-Themen besetzte,
allmählich zerrieben, so dass er die Notbremse zieht. Das Bekenntnis
zur "linken Volkspartei" im neuen Parteiprogramm ist beredtes
Zeichen: Beck meint es ernst.
Doch es ist nicht nur die wiederentdeckte Nähe zu den
Gewerkschaften; und es sind nicht nur Hartz-Betroffene, wofür Beck
ficht. Es ist die (verbreitete) Furcht in Mittelschichten vor dem
sozialen Absturz, die den Parteichef antreibt. Wenn die SPD dort noch
weitere Wähler verliert, sind - siehe desolate Umfragen - ihre Tage
als Volkspartei gezählt. Dass Beck den offenen Streit mit der
Parteiikone Müntefering riskiert, zeigt, wie hoch das Wasser schon
steht.
Aber Müntefering selbst hat keine andere Wahl, als zu den Reformen zu stehen. Er hat sie mitbetrieben, und er steht als Minister in der Koalitionsdisziplin. Vor allem weiß er: Wenn er als prominentester SPD-Verfechter der Reformen jetzt wankt, wäre es möglicherweise der Anfang vom Ende des Schröderschen Erbes. So ist das Bild, das eine hin und herschwankende SPD derzeit bietet, durchaus fatal.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung