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WAZ: Verheugens Vorstoß EU-Bürokratie braucht Kontrolle

Archivmeldung vom 18.10.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 18.10.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Eigentlich, so sollte man meinen, müsste sich Günter Verheugen im Zenit seiner Macht wähnen. Der 62-Jährige steht als Vizepräsident der Europäischen Kommission einem Riesenapparat vor, der mehr als 20 000 vorwiegend glänzend ausgebildete Beamte zählt und die Gesetzgebung in 25 souveränen Staaten entscheidend prägt.

Doch Verheugen hat dieser Tage seine Ohnmacht gegenüber dem Eigenleben der Brüsseler Gesetzgebungsmaschine eingeräumt. Wie ein "Hausbesetzer" komme er sich vor, der ein Gutteil seiner Arbeitszeit in die Überwachung von störrischen Behördenmitarbeitern stecke. Richtlinienkompetenz klingt anders.

Dass ein langgedienter Profi wie Verheugen, der in FDP und SPD den politischen Nahkampf gelernt hat, derart schonungslos sein Durchsetzungsproblem an die Öffentlichkeit trägt, zeigt die Dimension eines bislang unterschätzten Demokratiedefizits. Im Bauplan der EU-Bürokratie gibt es einen schwerwiegenden Konstruktionsfehler: Das politische Gremium der 25 EU-Kommissare, das alle fünf Jahre aus den Mitgliedsstaaten entsandt wird, hat nur einen unzureichenden Durchgriff auf das Heer der Brüsseler Beamten. Anders als ein Bundesminister in Berlin, der Leitung und Schlüsselstellen seines Hauses vergleichsweise leicht auswechseln kann, sind Kommissare ihren "Generaldirektionen" genannten Stäben praktisch ausgeliefert. Dort herrscht nicht selten der Korpsgeist einer vielsprachigen, bestens vernetzten Bürokratenelite. Diese nimmt für sich in Anspruch, selbst am besten zu wissen, was gut ist für 450 Millionen EU-Bürger.

Verheugen hat diesen Missstand, den bislang mit Rücksicht auf das ohnehin brüchige supranationale Fundament des Europa-Betriebs niemand recht thematisieren wollte, als Erster öffentlich gemacht. Er trachtet nach politischer Kontrolle und Gestaltungskraft und damit auch nach klar zuweisbarer Verantwortung für EU-Gesetze. Dies ist auch im Sinne der Bürger. "Die in Brüssel" soll nicht länger Chiffre sein für scheinbar dunkle Mächte, die Richtlinien und Verordnungen produzieren, die am Ende niemand in die Welt gesetzt haben will.

Der deutsche Kommissar zahlt schon jetzt einen hohen Preis für seinen Vorstoß. Urlaubsfotos und Gerüchte über sein Privatleben werden plötzlich lanciert, stereotype Vorwürfe vom "Verrat" an der hehren Europaidee laut, alte Rechnungen beglichen. In diesem medialen Trommelwirbel gerät das eigentliche Problem der fehlenden Verzahnung von Politik und EU-Bürokratie aus dem Blick. Das ist ärgerlich.

Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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