Berliner Morgenpost: Ein Haushalt ohne politischen Ehrgeiz
Archivmeldung vom 06.03.2010
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.03.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDas können die Schönfärber in der schwarz-gelben Koalition selbst wohl nicht ganz ernst meinen: Als Sparkurs zu bewerten, was jetzt nach den sogenannten Bereinigungsverhandlungen im Haushaltsausschuss mit den Stimmen von CDU, CSU und FDP für den Bundesetat 2010 beschlossen worden ist, kommt im freundlicheren Betrachtungsfall ritualhafter Parteilichkeit gleich, bei realistischer Bewertung verantwortungsloser finanzpolitischer Ignoranz.
Ein Gesamthaushalt von 320 Milliarden Euro, der allein durch die verdoppelte Rekordverschuldung auf jetzt 80 Milliarden Euro ausgeglichen und gegenüber dem ersten Etatentwurf um die bescheidene Einsparsumme von 5,6 Milliarden Euro gekürzt wird, dazu noch ungedeckte zweistellige Milliardenrisiken beim Bankenrettungsfonds und dem Konjunkturpaket II - das sind Summen, die jedes Wunschdenken verbieten. Die Koalition muss die Deutschen auf die Realitäten einstimmen, wie sie die Griechen - in weitaus schlimmerer Finanzlage - zur Einhaltung der Grundrechenarten ermahnt. Es mag ja richtig sein, dass angesichts der erst zaghaft wieder anspringenden Konjunktur ein radikaler Sparkurs gleich wieder abwürgen würde, was sich gerade langsam entwickelt. Aber wenn rund ein Viertel des Etats 2010 allein mit neuen Schulden finanziert wird und der Etatentwurf für das kommende Jahr routinemäßig schon bis zum Sommer vorgelegt werden muss, dann wäre die Koalition glaubwürdiger, wenn sie statt schönzufärben schon mal den Weg weisen würde, der aus der Schuldenfalle führen soll. Dass dieses Land in derselben steckt, macht eine weitere Zahl aus dem Etat 2010 klar: Allein in diesem Jahr muss der Bund 39 Milliarden Euro Zinsen für seine Schulden ausgeben; mehr als zehn Prozent aller Ausgaben. Noch schweigt Deutschlands oberster Schuldenverwalter Wolfgang Schäuble, wie er der Zahlen wieder Herr werden will. Er belässt es vorerst bei der Ankündigung, in seinem zweiten Etat die finanzpolitischen Realitäten ernster zu nehmen als im ersten. Und setzt auf Zeitgewinn. Erst nach der Steuerschätzung im Mai, von der kein Experte grundlegend neue Erkenntnisse erwartet, will er seine Grausamkeiten verkünden. Also nach der kleinen Bundestagswahl in Nordrhein-Westfalen. Noch so eine Täuschung der Bürger. Dann gibt es keine Ausflüchte mehr, dann muss Butter bei die Fische: Beginnend mit dem Etat 2011 muss der Finanzminister erklären, wie er die Schuldenbremse einhalten (jährlicher Einsparzwang zehn Milliarden Euro), sich an die Vorgabe der Maastrichter Verschuldungskriterien halten, die versprochenen Steuersenkungen einlösen und die Kopfpauschale der FDP subventionieren will. Nach all den Zerwürfnissen über schon weit geringere Fragen droht der mit so großen Erwartungen gerade ins Amt gewählten Regierung Merkel/Westerwelle im Juni/Juli die Zerreißprobe. Möglich, dass diese Koalition nur noch ein heilsamer Schock retten kann. Ausgelöst von den Wählern an Rhein und Ruhr.
Quelle: Berliner Morgenpost