WAZ: Vom Wandel der Union: Stramm rechts - ein Auslaufmodell
Archivmeldung vom 18.04.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittJörg Schönbohm kritisiert Angela Merkel öffentlich, weil sie Günther Oettinger öffentlich kritisiert hat. Interessant daran ist vor allem: Schönbohm ist der Einzige, der Vorwürfe gegen die Parteichefin erhebt.
Er sieht sich als Verteidiger konservativer
Werte am rechtsäußeren Rand der CDU, und ihm hat Oettingers
Trauerrede zum Tod von Hans Filbinger vermutlich besser gefallen als
dem Redner selbst.
Schönbohm ist ein Mann ohne politische Zukunft, aber man darf ihn
trotzdem oder gerade deshalb heranziehen, wenn man den
Modernisierungsgrad der CDU bestimmen will. Nach sieben Jahren unter
Merkels Vorsitz befindet sich die Partei in einem fortgeschrittenen
Veränderungsprozess, der sich auch in den Ländern und deren
Ministerpräsidenten spiegelt.
Roland Koch hatte sich in Hessen nicht nur mit der
Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft einen
belastbaren Ruf als harter Rechter erworben und galt als
Hoffnungsträger der Konservativen, bis Merkel Kanzlerkandidatin und
Kanzlerin wurde. Seither zieht es Koch in die Mitte, zu berufstätigen
Frauen, Ausländern und den Grünen. Jürgen Rüttgers hat sich selbst
zum Arbeiterführer von NRW ernannt, Christian Wulff in Niedersachsen
zeigt mehr Verständnis für gegenwärtige Lebensentwürfe, seitdem er
seine Frau verließ. Peter Müller würde gern aus dem Saarland heraus
mit Franz Müntefering den Mindestlohn einführen, der Hamburger
Bürgermeister Ole von Beust ist homosexuell, und in
Schleswig-Holstein würden nicht einmal politische Gegner Peter Harry
Carstensen mit einem Konservativen verwechseln.
Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, Georg
Milbradt und Wolfgang Böhmer, darf man als Pragmatiker bezeichnen,
und Dieter Althaus würde seinen Thüringern gern ein solidarisches
Bürgergeld auszahlen. Im Übrigen galt auch Günther Oettinger als
progressiv, bevor ihn die vorübergehende Umnachtung ereilte. Und
sogar in der traditionsbewussten CSU in Bayern schlingert der
künftige Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber einem aufgeschlosseneren
Weltbild entgegen.
Die wirklich strammen Rechten der CDU finden keine prominenten Führungspersönlichkeiten mehr. Gelegentlich erheben sich noch einige Schönbohms gegen Merkels Kurs beispielsweise in der Familienpolitik, aber inzwischen schätzen auch einstige Widersacher die Öffnung der Partei für den größer werdenden Teil der Gesellschaft, der anders lebt, als die CDU das in ihren alten Grundsatzprogrammen aufgeschrieben hat.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung