WAZ: Regierungsjahr 2008: Der Republik droht politische Starre
Archivmeldung vom 05.01.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittUnter Umständen gerät das Regierungsjahr 2008 sehr kurz und ist im Februar zu Ende. Dann haben Hessen, Niedersachsen und Hamburg gewählt. Voraussichtlich wird die CDU aus den Ergebnissen lesen, dass sie zuviel verloren hat, und die SPD wird lesen, dass sie nicht genug gewonnen hat. Sollte in Hessen keine bürgerliche Mehrheit zu Stande kommen (in Hamburg scheint sie ausgeschlossen zu sein), dann wird es dort zunächst interessante Koalitionsgespräche geben.
Dem Rest der Republik aber droht ein Zustand der politischen
Starre. Schwarz-Grün in Hamburg, Schwarz-Gelb-Grün oder Große
Koalition oder Rot-Grün unter linker Duldung in Hessen: Wenn die
Linkspartei in Hessen und Hamburg tatsächlich die prognostizierten
sechs bis sieben Prozent erreicht, werden die schrumpfenden
Volksparteien alle Modelle mit dem Blick auf die Bundestagswahl 2009
durchspielen.
Sollte sich die Linke im Westen etablieren, würde sich die
politische Landschaft neu ordnen - in diesem Fall hätte die Große
Koalition fürs Regieren nicht mehr viel Sinn. Während Angela Merkel
Jagd auf "die Mitte" macht und Kurt Beck sich um "die Menschen"
bemüht, steuert die Linkspartei vom Rand die politischen Bewegungen.
Beck rückte bei Mindestlohn und Arbeitslosengeld nach links, um die
Härten von Gerhard Schröders Agenda 2010 ins Vergessen zu befördern.
Merkel läuft hinterher, um ihren reformradikalen Wahlkampf 2005 ins
Vergessen zu befördern.
Union und SPD werden nach den Landtagswahlen noch ängstlicher als
bisher in ihre Partei hineinhorchen, Strategien überprüfen, ersinnen,
verwerfen und dabei durchgehend auf die Umfragen schielen. Breite
Mehrheiten für Mindestlöhne und gegen horrende Managergehälter, für
soziale Gerechtigkeit und gegen weitere Zumutungen werfen für Union
und SPD vor allem die Frage auf: Wie kann man diese Mehrheiten als
Wählergunst in Parteibesitz bringen? Eine Antwort auf diese Frage
gibt es aber womöglich gar nicht, wofür spricht, dass der SPD ihr
Eintreten für den Mindestlohn bislang auch nichts genutzt hat.
Relativ unwahrscheinlich ist zudem, dass demnächst in Umfragen
breite Mehrheiten für bestimmte Reformen im Bildungswesen, in der
Forschung oder auf dem Finanzmarkt erhoben werden. Sollte die Große
Koalition das als Anleitung zum weitgehenden Nichtstun verstehen,
dann führen die Volksparteien bis zur Bundestagwahl vor allem vor,
dass Regieren auch ein parteipolitischer Selbstzweck sein kann.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Angela Gareis)