Das WESTFALEN-BLATT zur ITB/Tourismus in Krisenländern
Archivmeldung vom 11.03.2011
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.03.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittFahren oder bleiben? Wenn Länder wie Ägypten oder Tunesien sich in einem politischen Umbruch befinden, muss man als Tourist abwägen. Nützt oder schadet man der Bevölkerung mit seiner Anwesenheit? Wie auch immer die Antwort ausfällt: Mit Ahnungslosigkeit darf sich niemand mehr entschuldigen. Wie so oft, wenn die Reise in ein nicht-demokratisches Land gehen soll, befindet sich der Tourist in einem Dilemma.
Egal, für welchen Weg er sich entscheidet, der Weg wird ein unbefriedigender sein. Wenn der Tourist fährt, riskiert er, dass sein Geld in Kanälen landet, die er nicht überblicken kann. Wenn er nicht fährt, trägt er dazu bei, dass eine wichtige Einkommensquelle der Bevölkerung versiegt. Ägypten und Tunesien bieten derzeit zu unschlagbar günstigen Preisen Urlaub an. Übernachtung, Verpflegung, An- und Abreise - alles ist drin, selbst die kontrollierte Exotik. Die kritischen Gedanken können zu Hause bleiben. Der Urlaub ist eine Art Realitätsentzug auf Zeit. Sensiblen Touristen dürfte es aber endgültig schwer fallen, die Augen vor den teilweise elenden Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verschließen. Ja, es gibt eine Welt außerhalb der Poolanlagen. Diese ist vielerorts längst nicht so sauber, glitzernd und aufgeräumt. Das wird ein Tourist nicht mit einem Besuch ändern, aber er sollte sich darüber im Klaren sein und überlegen, wem er sein Geld gibt. Die einst so beliebten Ziele Ägypten und Tunesien warten sehnsüchtig darauf, dass die Urlauber zurückkehren. Bei der Internationalen Reisemesse ITB in Berlin präsentieren sie sich ausgelassen und gastfreundlich. Kein Wunder: Nach Angaben von Mehdi Houas, dem gerade ernannten tunesischen Tourismus- und Handelsminister, leben 30 bis 40 Prozent der Tunesier vom Tourismus. In Ägypten ist es jeder Achte. Die Menschen brauchen die Devisen mehr denn je, damit sich die Lage in ihrem Land stabilisiert. Eine Wirtschaftskrise wäre fatal. In Tunesien sind die Buchungen seit der Jasmin-Revolution im Januar um etwa die Hälfte gesunken. Die Hotels versuchen, qualifiziertes Personal zu halten und hoffen, dass Flaute bald vorüber ist. Keine Frage, die beiden Länder sind Kummer gewohnt. Die Anschläge in Luxor (1997) und Djerba (2002) liegen lange zurück, aber sie sind in den Köpfen der Urlauber und der Veranstalter hängen geblieben. Allein deshalb sollte sich jeder, der einen Urlaub plant, darüber informieren, inwieweit die Reisequalität durch die Sicherheitsvorkehrungen beeinträchtigt ist. Auf der einen Seite steht der günstige Urlaub, auf der anderen Seite gilt noch immer eine Ausgangssperre in Teilen Ägyptens und Tunesiens. Was kann der Tourist tun? Nun, einen Ausweg aus dem Dilemma kann ihm niemand vorgeben, auch kein Reiseveranstalter. Er muss sich selbst prüfen, welche Entscheidung er mit seinem Gewissen vereinbaren kann und welche nicht.
Quelle: Westfalen-Blatt