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Zeit erkauft

Archivmeldung vom 11.09.2020

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 11.09.2020 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch André Ott

EZB-Präsidentin Christine Lagarde und die Ihrigen haben gestern vor allem eins getan: sich Zeit erkauft. Zeit zu entscheiden, ob und wenn ja, wie sie ihre bereits ultraexpansive Geldpolitik weiter lockern. In der aktuellen Lage war das das Beste, was sie tun konnten. Aktionismus ist jetzt genauso fehl am Platz wie Alarmismus.

Mehr Zeit tut not, um zu analysieren, wie es wirklich um die Euro-Wirtschaft bestellt ist. Dass die Erholung schon wieder an Schwung verliert, ist mehr als unschön. Die Lage ist aber auch nicht so düster, wie sie mitunter dargestellt wird. Ähnliches gilt für die Inflation: Das Absacken unter null ist unerquicklich. Ein Monat mit sinkenden Preisen ist aber noch lange keine gefährliche Deflation. Die EZB kann es sich auch leisten abzuwarten, weil sie in der Krise vor allem mit dem Corona-Notfallkaufprogramm PEPP in die Vollen gegangen ist. Im Übrigen: Viel wichtiger als noch mehr noch billigeres Zentralbankgeld sind jetzt sowieso gezielte fiskalische Hilfen gegen ein Massen-Firmensterben und Strukturreformen für mehr Produktivität und damit langfristig mehr Wachstum.

Mehr Zeit ist auch nötig mit Blick auf den Strategieschwenk der US-Notenbank in Richtung eines durchschnittlichen Inflationsziels. Die Fed hat bislang viele zentrale Fragen offengelassen. Ob es da bereits bei der Fed-Sitzung nächste Woche die große Erleuchtung gibt, ist fraglich. Aber mit der Zeit sollte das künftige Handeln klarer werden - und damit mögliche Implikationen für die EZB. Die Euro-Hüter dürfen jetzt nicht überstürzt reagieren, genauso wenig, wie sie die Fed-Strategie 1:1 übernehmen können - und auch nicht sollten: Was das (vermeintlich) Beste für die Fed ist, ist noch lange nicht das Beste für die EZB.

Und auch beim Euro braucht es mehr Zeit für ein Urteil. Die jüngste Aufwertung kommt zum denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Bislang ist sie aber nicht so gravierend für den Wachstums- und Inflationsausblick, dass akuter Handlungsdruck besteht - wobei die EZB-Mittel auch beschränkt wären. Den Negativzins mit all seinen Fallstricken zu verschärfen, nur in der Hoffnung auf kurzfristige Erfolge an der Wechselkursfront, ist nicht überzeugend. Die EZB muss sich auch hüten: Aussagen zum Wechselkurs führen schnell aufs Glatteis - wie Lagardes Auftritt gestern beweist. Andererseits sind sie riskant: Sicher war es überzogen, EZB-Chefvolkswirt Philip Lane wegen dessen jüngsten Euro-Aussagen des Anzettelns eines Währungskriegs zu bezichtigen. Die Gefahr eines Abwertungswettlaufs jedoch ist real. Der aber würde nur Verlierer kennen. Die EZB sollte auch deshalb in Ruhe überlegen, was sie (noch) tut.

Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Mark Schrörs


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