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Mittelbayerische Zeitung: Europa ist wachgerüttelt

Archivmeldung vom 22.12.2011

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 22.12.2011 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Das Eurokrisenbeben erschüttert Europa mit immer stärkerer Wucht und die Welt zittert mit. Inzwischen klirren selbst in Südamerika und Asien die Gläser im Schrank: Japans Wirtschaft schrumpft leicht. Die wachsende Wucht hat Europa leider gebraucht. Alles Lose und Marode, was nicht krisenfest war, ist dadurch an die europäische Öffentlichkeit gedrungen - vieles jedenfalls. Jetzt müssen die Konsequenzen folgen: die Machenschaften der Staaten offenlegen. Schluss mit Korruption und anderer Geldverschwendung auf Kosten der Gesellschaft.

Ganz klar, die Erdbebenherde liegen in den Staatssystemen selbst. Rein politische Befindlichkeiten verhinderten, dass die Länder grundlegende Probleme angingen. Die sich zuspitzende Krise saßen die Politiker, aber auch die Bürger aus, bis es nicht mehr ging. Ab 2012 soll nun alles besser werden: Dänemark startet seine Ratspräsidentschaft ab 1. Januar mit der Kampagne für mehr Verantwortung. Klingt gut, denn das Verantwortungsbewusstsein der Staats- und Regierungschefs darf nicht mehr bloß bis zur nächsten Wahl reichen. Das technische Hilfswerk zur Eurorettung wird momentan unter Hochdruck aufgefahren: Die Europäische Zentralbank öffnet ihre Schleusen für unbefristete Günstigkredite an Banken. Bereits Mitte 2012 kommt der permanente Rettungsfonds ESM mit so viel Eigenkapital wie möglich. Je schneller, desto besser. Die Finanzmärkte wollen sehen, dass die Politiker Ernst machen. Während des Krisenbebens fielen sechs amtierende Regierungen. Ihnen fehlte der Rückhalt der Bürger. Wenn dieser Trend anhält, muss auch Nicolas Sarkozy um seine weitere Präsidentschaft fürchten. Doch selbst wenn er im Februar wiedergewählt wird, blockieren die Sozialisten wohl weiter die Schuldenbremse für Frankreich, die er mit Bundeskanzlerin Merkel propagiert. Es ist überhaupt fraglich, was geschieht, wenn die EU-Länder fast gleichzeitig auf die Schuldenbremsen treten. Konjunkturprognosen sind eher düster. Wenn ein Staat spart, schraubt er neben internen Investitionen auch die Bestellungen in anderen EU-Ländern zurück, wie etwa Griechenland für seine Aufrüstung. Um nur das nötigste Geld in zukunftstaugliche Projekte zu stecken, müssen die Staaten vor allem rein politisch getriebene Bauprojekte stoppen. Lieber Eisenbahnnetze ausbauen statt breiterer Straßen. Der Verwaltungsapparat muss abspecken. Mehr elektronisch abwickeln, weniger veraltete Papierkramorgien, die von viel Personal verwaltet werden müssen. Und Menschen, die dadurch Jobs verlieren oder schon lange suchen, brauchen eine Perspektive. Denn das Geld für Mehrwertsteuererhöhungen oder Ähnliches muss ja irgendwo herkommen. Die Regionen müssen Arbeit und zielgenaue Weiterbildung schaffen, die ihnen lokal zugutekommt. Windkraftanlagen etwa: Bau, Wartung, Energiegewinn, alles vor Ort. Staaten setzen den Rotstift in Sozial- und Gesundheitssystemen an. Sie können nicht mehr jeden unter ihre Fittiche nehmen. Jeder, der stark genug ist, für sich selbst zu sorgen, wird das in Zukunft auch noch mehr und bewusster tun müssen. Und die Schonzeit für Steuerhinterzieher muss jetzt endgültig vorbei sein. Neue Sonderabgaben auf Luxusautos und Jachten wie in Italien wären gar nicht erst nötig, wenn jeder seinen rechtmäßigen Teil an die Gesellschaft abführte. Barack Obamas Motto "Verpasse niemals eine gute Krise" ist wahr. Ob im persönlichen Leben, im Staat oder in der Eurozone. Eine schwere Krise stößt jeden auf die Stellen im System, die nicht funktionieren. Und es sind viele rote Alarmlampen angesprungen in allen Bereichen der EU. Bildung, Soziales, Arbeitspolitik, Finanzwesen. Die Krise ist die Chance, unser Gesellschaftssystem zu entrümpeln, effizient und zukunftstauglich zu gestalten. Die Schwachen dürfen dabei jedoch nicht auf der Strecke bleiben. In Griechenland hat sich die Selbstmordrate während der Krise mindestens verdoppelt. Mehr als fünf Millionen Jugendliche sind in Europa ohne Arbeit. Jetzt gilt es die Schwachstellen mit Bedacht zu sanieren. Das Bildungssystem zum Beispiel als Fundament für Arbeit und damit für Wirtschaftswachstum. Europa ist endlich wachgerüttelt. Machen wir etwas daraus!

Quelle: Mittelbayerische Zeitung (ots)

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