Leipziger Volkszeitung zum EU-Gipfel
Archivmeldung vom 16.12.2006
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 16.12.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittNoch gut drei Monate, dann zelebriert die Europäische Union ihren großen Feiertag: 50 Jahre Römische Verträge. Ein würdiger Anlass, um nach zwei durchwachsenen Jahren endlich wieder die Errungenschaften dieses einzigartigen Projektes zu lobpreisen. Denn trotz aller berechtigten Mäkelei am Bürokratie-Moloch Brüssel bleibt unterm Strich festzuhalten: Die EU ist eine Erfolgsstory.
Im größten Binnenmarkt der Welt mit demnächst 500 Millionen Menschen
herrschen Wachstum und Frieden. Ein glücklicher Zustand, der auch
erreicht wurde durch die Überwindung der europäischen Spaltung. Aber
aus dem vornehmen und überschaubaren Sechserklub der Adenauers,
Churchills und De Gaulles ist in vielen kleinen Schritten ein
ziemlich wuseliger Familienbetrieb geworden, dem bald 27 Völker
Europas angehören.
Bei aller Erweiterungseuphorie haben die Architekten des
Staatenbundes leider lange darüber hinweggesehen, dass die Statik im
Hause Europa diesen enormen Belastungen nicht mehr standhalten kann.
Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die EU nun auf die Bremse
tritt. Ohne innere Reformen machen weitere Aufnahmen keinen Sinn. Das
ist eine bittere Pille für jene Länder, die nichts sehnlicher
wünschen, als in diesen feinen Klub Europa aufgenommen zu werden,
darunter die Völker des westlichen Balkans.
Die Europäische Union steckt in einer verzwickten Lage. Einerseits
muss sie die Beitrittsperspektive für die Serben, Mazedonier, Albaner
et cetera aufrechterhalten und sie zu durchgreifenden Reformen
ermutigen. Andererseits bleibt nicht mehr viel Zeit, um den inneren
Reformstau zu beseitigen.
Seit 50 Jahren haben alle geglaubt, die Europäische Union würde
funktionieren wie ein Automatikgetriebe, und als ginge es immer nur
bergauf. Jetzt wissen wir: Europa steht am Scheideweg. Scheitert die
innere Reform, drohen sogar gefährliche Rückschritte. Vom Chaos-Klub
der 27 könnte sich ein Kerneuropa abkoppeln, das aus den Ländern der
Euro-Zone besteht. Das wäre fatal. Ein Europa der zwei
Geschwindigkeiten, das ist der Anfang vom Ende der schönen Vision
namens Vereinigte Staaten von Europa.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung