Börsen-Zeitung: Stimmung contra Fakten
Archivmeldung vom 03.09.2011
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittAn den Finanzmärkten verfolgen die Akteure derzeit sorgenvoll die Entwicklung der Stimmungsindikatoren. Denn das Bild, das die aus Umfragen unter Unternehmen, Verbrauchern und Investoren erstellten Indizes derzeit bieten, ist beängstigend. Beidseits des Atlantiks sind die Stimmungsbarometer in den zurückliegenden Wochen fast unisono in den freien Fall übergegangen.
Dies zeigt sich an vielen Beispielen. Der Konjunkturindex der Philadelphia Fed schockte die Märkte kürzlich mit einem Einbruch um 34 auf -30,7 Punkte; auf einem solch niedrigen Niveau hat er sich außerhalb von Rezessionsphasen noch nicht befunden. Ebenso erschreckend fiel in der gerade beendeten Woche der Index für das Verbrauchervertrauen des Conference Board aus, der im August von 59,2 auf 44,5 Zähler abstürzte und damit den niedrigsten Stand seit April 2009 erreichte. In Europa wurde der Markit-Einkaufsmanagerindex gegenüber der ersten Berechnung überraschend deutlich nach unten revidiert. Für Deutschland ergab sich ein um 1,1 Punkte niedrigerer Wert von 50,9 Zählern. Damit liegt der Index nur noch knapp über der Wachstumsschwelle von 50 Punkten - im Gegensatz zum Index für Euroland, der auf 49 Zähler revidiert wurde. Auch der Ifo-Geschäftsklimaindex fiel im August mit einem Rückgang um 4,2 auf 108,7 Punkte über Erwarten deutlich, und die ZEW-Konjunkturerwartungen sackten um 22,5 auf -37,6 Zähler ab. Der Global Investor Confidence Index von State Street, der die Stimmung der Institutionellen misst und im Juli mit 102,5 noch über der neutralen Marke von 100 lag, brach im August auf 89,6 Punkte ein.
Ein derart extremer Absturz auf breiter Front ist außergewöhnlich und erinnert in fataler Weise an die verhängnisvolle Entwicklung im Anschluss an den Zusammenbruch von Lehman Brothers, dem die schlimmste Rezession seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts und ein Crash an den Aktienmärkten folgte. Allerdings gehen einige Beobachter davon aus, dass die Indikatoren ebenso wie die Aktienmärkte übertreiben und die Stimmung wesentlich schlechter ist als die tatsächliche Lage. Dabei argumentieren sie mit den Fakten. Dass eine Rezession kommen wird, ist bisher nur eine Vermutung; in den harten Daten spiegelt sich der Absturz der Stimmungsindizes überhaupt nicht wider, auch wenn der US-Arbeitsmarktbericht am Freitag sehr enttäuschend ausfiel. Die derzeit vorliegenden Tatsachen deuten vielmehr darauf hin, dass sich das Wachstum deutlicher verlangsamt, als dies vor wenigen Wochen noch vermutet wurde. Die Unternehmen sind sowohl operativ als auch finanziell wesentlich besser aufgestellt als vor der zurückliegenden Krise. Daher wäre der Aktienmarkt - gemessen am Dax - selbst dann noch moderat bis günstig bewertet, wenn die Analysten ihre Gewinnschätzungen sehr stark nach unten revidieren würden.
Allerdings greift eine auf die sichtbaren Fakten beschränkte Betrachtung zu kurz. Denn die immer negativere Stimmung wird, wenn sie nicht bald dreht oder zumindest stabilisiert wird, auf das Verhalten von Unternehmen, Verbrauchern und Anlegern durchschlagen und somit mit Verzögerung Spuren in realwirtschaftlichen Daten hinterlassen. Dann bestünde die Gefahr einer Abwärtsspirale mit weiteren heftigen Marktturbulenzen und sich verstärkenden Rezessionsrisiken.
Leider spricht derzeit wenig dafür, dass sich die Stimmung in absehbarer Zeit aufhellen wird. Vielmehr trübten sich in den zurückliegenden Tagen auch die Fakten weiter ein. Neben dem Stillstand am amerikanischen Arbeitsmarkt verschärfte sich die europäische Schuldenkrise wieder. Die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank scheinen nur bedingt erfolgreich zu sein. Zwar notieren die Renditen der italienischen und spanischen Staatstitel inzwischen tiefer. Die Anleiheauktionen beider Staaten stießen jedoch nur auf äußerst geringes Interesse. Zudem gestand Griechenland ein, dass das Defizitziel für dieses Jahr nicht zu erreichen ist. Damit verfestigte sich der Eindruck, dass das angeschlagene Land ein hoffnungsloser Fall ist. Dies untermauert zugleich die These vieler Skeptiker, die europäischen Regierungen seien nicht in der Lage, eine tragfähige Lösung für die Schuldenkrise zu finden, und der offen ausgetragene Streit mit dem Internationalen Währungsfonds über die Kapitalausstattung der europäischen Banken wirkt ebenfalls nicht beruhigend. Das Risiko steigt, dass die Stimmungsindikatoren eben nicht übertreiben, sondern die künftige Entwicklung zutreffend vorwegnehmen.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots)