Börsen-Zeitung: Schwäne und Nashörner
Archivmeldung vom 26.01.2019
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Freigeschaltet durch André OttEr hat das C-Wort gesagt: Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat auf der Pressekonferenz nach der Zinsentscheidung am Donnerstag auch von der sich abschwächenden Konjunktur in China als Risiko für Europas Wirtschaftsentwicklung gesprochen. China gilt als eines der größten Risiken für das Anlagejahr 2019.
Die Bank of America Merrill Lynch (BofAML) meint in einer aktuellen Einschätzung, die jüngsten Exportzahlen aus dem Reich der Mitte und aus Asien zeigten eine globale Gewinnrezession an - bezogen auf den Gewinn je Aktie. Während BofAML für die nächsten zwölf Monate von stagnierenden Gewinnen ausgehe, nehme der Marktkonsens noch ein Gewinnwachstum von 6 Prozent an. Hier lauert also Korrekturgefahr.
China könne so etwas wie ein "Elefant im Porzellanladen" sein, sagt Tillmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management, und werde ein wesentlicher konjunktureller Brennpunkt im Jahr 2019 sein. Auf Jahressicht hochgerechnet ist die chinesische Wirtschaft im vierten Quartal 2018 nur noch mit 6,4 Prozent gewachsen, dem niedrigsten Wert seit 1990.
Allerdings erwartet die Großbank keine harte Landung in dem autoritären Staat. Galler begründet dies mit einer veränderten Haltung der chinesischen Regierung. Nachdem sie eine Zeit lang das Augenmerk darauf gerichtet habe, das Kreditwachstum zu begrenzen und den Schuldenabbau anzugehen, habe sie ihren Kurs um 180 Grad gedreht. Es werde mit zahlreichen Maßnahmen gegengesteuert. Dies dürfte sich stimulierend auf Investitionstätigkeit und Infrastrukturausgaben auswirken. Dagegen würden die Kurse am chinesischen Aktienmarkt eine harte Landung vorwegnehmen. Gemessen am CSI 300 Index hat der Aktienmarkt in Schanghai ausgehend von seinem Hoch im Januar 2018 fast ein Drittel eingebüßt. Galler hält dies für übertrieben.
Doch es bleiben Zweifel. China baut seine Wirtschaft hin zu mehr Konsum um, und das birgt in den Augen von einigen Beobachtern Risiken. Wie stark der Abschwung ausfallen werde, sei "eine offene Frage", sagt der ehemalige IWF-Chefökonom Kenneth Rogoff. Er meint, angesichts des "inhärenten Widerspruchs zwischen einem immer stärker zentralisierten, von der Kommunistischen Partei geführten politischen System und der Notwendigkeit eines stärker dezentralisierten konsumgeleiteten Wirtschaftssystems" könne das langfristige Wachstum "relativ drastisch sinken".
Aus chinesischen Regierungskreisen sind zudem irritierende Signale zu verzeichnen. So hat der chinesische Präsident Xi Jinping am vergangenen Monat erklärt, sein Land müsse nicht nur wachsam sein, was mögliche "Schwarze Schwäne" anbelangt - also Risiken, die nicht vorhergesehen werden. Genauso gelte es, "Graue Nashörner" abzuwehren. Damit dürften bekannte Gefahren gemeint sein - der Begriff bezieht sich wohl auf ein Buch der amerikanischen Autorin Michele Wucker ("The Gray Rhino: How to Recognize and Act on the Obvious Dangers we Ignore"). Xi sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua, die chinesische Wirtschaft stehe vor tiefen und komplizierten Veränderungen. Hochverschuldete Firmen ohne erkennbare Perspektiven - so genannte Zombie-Firmen - sollten richtig aufgelöst werden, während zugleich Schwierigkeiten von kleineren Unternehmen pragmatisch angegangen würden.
Auch der China-Kenner Michael Pettis, Fellow des Canegie Endowment for International Peace, sieht beunruhigende Zeichen. Es gebe einen fehlenden Zusammenhang zwischen den offiziellen Wachstumsdaten und der Wahrnehmung in der breiten Bevölkerung. "Fast jeder beklagt sich bitterlich über entsetzlich schwierige Konditionen, steigende Insolvenzen, einen kollabierenden Aktienmarkt und zerschlagene Hoffnungen. In meinen 18 Jahren in China habe ich nie dieses Niveau an finanziellen Sorgen und Elend gesehen", schreibt Pettis. Für ihn ist schon längst klar, dass die ausgewiesenen Zahlen für das Bruttoinlandprodukt das Wachstum deutlich überzeichnen.
Die Frage ist nur, was einen angemessenen Hinweis auf den Zustand der chinesischen Wirtschaft gibt? Auch die weitere Entwicklung im Handelsstreit zwischen den USA und China wird die Märkte bewegen. Derzeit wird auf eine Besserung der Lage gesetzt. Auch Kenneth Rogoff meint, Chinas Volkswirtschaft habe die Zweifler seit vielen Jahren immer wieder eines Besseren belehrt. Anzufügen wäre wohl: Vorausgesetzt, es geraten keine grauen Nashörner oder schwarze Schwäne in den Weg.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Dietegen Müller