Westdeutsche Zeitung: Nordkorea
Archivmeldung vom 26.05.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie erpresserische Politik der nordkoreanischen Führung ist im Wortsinne ver-rückt. Kim Jong Il ignoriert und torpediert nach wie vor alle internationalen Abkommen und steht damit bewusst außerhalb der Reihe zivilisierter Staaten.
Ihn deswegen aber als "Verrückten" abzutun, wäre völlig unangemessen. Denn das, was uns als Wahnsinn erscheint, ergibt bei näherer Betrachtung einfach nur Sinn. Der Kim-Autokratie ging und geht es ums Überleben, wohlgemerkt: ums eigene Überleben, nicht um das des gerne als "großartig" gepriesenen nordkoreanischen Volkes. Das nämlich hungert sich von Winter zu Winter und muss sich auch schon mal mit wilden Wurzeln und Baumrinden als Nahrungsquellen begnügen. Dass die ganz große Katastrophe trotzdem ausbleibt, liegt allein an der Unterstützung durch China. Schließlich hat der große Nachbar ein vitales Interesse daran, Nordkorea stabil zu halten, und päppelt das verarmte Land, so gut es geht. Kim Jong Il muss sich darum vor den Chinesen nicht fürchten. Im Gegenteil: Wie sehr er auch die internationale Gemeinschaft herausfordert und damit zugleich Chinas Führung düpiert - aus Peking kommen nur sanfte Ermahnungen und Beschwichtigungsversuche. Und die Amerikaner? Auf die hat es das ver-rückte Regime in erster Linie abgesehen. Kim sucht die ungeteilte Aufmerksamkeit Washingtons. Indem er immer wieder die nukleare Karte spielt, zwingt er die USA letztlich an den Verhandlungstisch. Am Ende wird er sich so Wirtschaftshilfen und Anerkennung ertrotzen. Beides wird seine Macht, wird sein politisches Überleben nach innen und außen absichern. Der Preis, den sein Volk für die atomare Rüstung Nordkoreas bezahlen muss, kann aus Kims Sicht gar nicht zu hoch sein. Ob es einem gefällt oder nicht: Dieses perfide Spiel kann Kim nur gewinnen. Und am Spielfeldrand stehen die Iraner und beobachten sehr aufmerksam, wie der Westen, China und Russland auf die Provokationen Pjöngjangs reagieren. Die Neigung, Zugeständnisse zu machen, sinkt bei den Mullahs im Quadrat zu der Anzahl der nordkoreanischen Atomtests. Kommt es tatsächlich zu direkten Gesprächen der USA mit Nordkorea ohne Vorbedingungen, können diese auch Teheran nicht verweigert werden.
Quelle: Westdeutsche Zeitung (von Alexander Marinos)