WAZ: Prämie für Schulbesuch - Peitsche und Zuckerbrot
Archivmeldung vom 28.01.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs klingt erstmal interessant: 100 Euro Prämie für Eltern, die ihr Kind pünktlich zur Schule schicken! Letztlich ist das, was da in Oer-Erkenschwick geplant wird, aber ein Hilfeschrei: Die Zahl der Problemfamilien, das Ausmaß des Widerstands gegen die Eingliederung in unsere Gesellschaft sind dort offenbar so groß, dass man solch außergewöhnliche Wege geht.
Unser Rechtsempfinden wird durch diesen Versuch kräftig gegen den Strich gebürstet. Eine Prämie für das, was selbstverständlich sein sollte? Was halten wohl die Eltern davon, die sich schon immer aufopfernd um ihre Kinder kümmerten? Und die jetzt staunend verfolgen, dass man Pluspunkte (und eine materielle Belohnung!) bekommt, wenn man die Kinder weckt, die Elternsprechtage besucht oder medizinische Vorsorgeuntersuchungen ernst nimmt. Pragmatisch mag er sein, der Ansatz, fair erscheint er nicht.
Lange hoffte man, es ginge auch anders. Die Schulverweigerung, die nahtlos ins soziale Abseits mündet, wurde durch Strafen bekämpft. Im Katalog stehen Bußgelder für säumige Eltern, regelmäßige Besuche der Polizei, auch mal Gefängnis oder der Antrag, die Auszahlung des Kindergeldes an den Schulbesuch zu knüpfen. Hat letztlich auch nicht so richtig funktioniert, weil es eben äußerst schwierig ist, die Zielgruppe überhaupt zu erreichen.
Nach der Peitsche jetzt das Zuckerbrot. Auch nicht ganz neu übrigens, dieser Ansatz. In Großbritannien werden Schwänzer bereits seit längerem mit Geld in die Anstalt gelockt. Amerikanische Schulen zahlen Sitzenbleibern sogar Prämien, wenn sie sich zum Förderunterricht einfinden.
Lösen wir so die Probleme? Es gibt begründete Zweifel. Nicht zuletzt, weil es keinesfalls nur die Problemfamilien sind, aus denen Kinder mit Schulproblemen stammen. Lustlosigkeit und Verweigerung gibt es auch in anderen sozialen Schichten. Es liegt also nicht immer nur am Geldbeutel der Eltern, wenn es mit dem Lernen nicht klappt - und es liegt vor allem auch nicht immer nur am Staat.
Den darf man natürlich nicht aus der Pflicht entlassen, einen optimalen Rahmen für die Bildung zu liefern. Aber irgendwann ist jeder dann selbst gefordert, die Angebote auch zu nutzen, Verantwortung zu übernehmen, auch schon als Schüler. In diesem Fall: sich verdammt noch mal auf den Hosenboden zu setzen und zu lernen. Fürs Leben, nicht für die Schule! Ist alt der Spruch, zugegeben. Aber ewig aktuell.
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung (von Ulrich Schilling-Strack)