WAZ: Die Koalition in der Krise: Hauen und Stechen geht weiter
Archivmeldung vom 24.09.2007
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 24.09.2007 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Thorsten SchmittKanzlerin Merkel ist eine couragierte Frau. Da können die Chinesen noch so wettern, der Dalai Lama wurde trotzdem von ihr empfangen. Basta. Dagegen agierte die ansonsten mutige Merkel zurückhaltend, als ihre beiden Parteifreunde und Minister Schäuble und Jung in Sachen Sicherheit ein Fass aufmachten. Verteidigungsminister Jung bekannte sich im Fall der Fälle zum Abschuss von Passagierflugzeugen, um noch Schlimmeres zu verhindern.
Innenminister Schäuble warnte vor einem
atomaren Anschlag islamistischer Terroristen und erneuerte darum
seine Forderung nach Online-Untersuchungen. Und was tut Merkel? Sie
hält sich aus der ganzen Debatte raus, um erst am Wochenende mit
einem leisen Ja zur Online-Untersuchung ihrem Minister beizustehen.
Sollte Merkel darauf spekulieren, dass sich die Wogen um Jung und
Schäuble schon glätten werden und sollte sie sich darüber gefreut
haben, dass die CDU beim Thema Innere Sicherheit immerhin die
Schlagzeilen-Hoheit errungen hat, dann hat sie sich verkalkuliert.
Denn der Koalitionspartner SPD macht Rabatz und wirft Merkel
Führungsschwäche vor.
Dabei hat Müntefering in der Sache Recht, wenn er die Fragen der
Inneren Sicherheit zunächst mit seinem Koalitionspartner am
Kabinettstisch behandelt wissen möchte. Gleichzeitig erweist sich
diese Aufforderung zur Gemeinsamkeit der Koalitionäre als
scheinheilig, da die SPD die CDUschon seit geraumer Zeit öffentlich
beim Thema Mindestlohn piesackt.
Und Müntefering setzte am Wochenende noch nach: Die Debatte um
den Mindestlohn lasse die CDU an ihre Grenzen stoßen und werde noch
für eine Menge Aufregung sorgen. Münteferings Androhung von weiterem
Zoff in der Koalition ist nachvollziehbar, wenn er feststellt: "Die
sozialdemokratische Handschrift ist in der Regierungsarbeit ganz
deutlich zu erkennen. Die Union ist sehr viel weiter auf uns
zugekommen als wir auf sie. Eins ist schon jetzt klar: Wir haben in
diesem Land ein großes Spektrum an sozialdemokratischer Politik." Das
allerdings ist ein Pyrrhussieg für die SPD, denn der Wähler schickt
derzeit die Genossen bei Umfragen in den Keller.
Der Bürger wird sich auf ein Hauen und Stechen in der Großen Koalition einstellen müssen. Eine Basta-Kanzlerin oder eine Trennung der Streithähne ist eher unwahrscheinlich. Denn politisch sind derzeit leider keine tragfähigen Alternativen zur Großen Koalition erkennbar.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung