Leipziger Volkszeitung zur Regierungsbildung in der Ukraine
Archivmeldung vom 04.08.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWaren wir im Winter 2004 wirklich Zeugen einer Revolution? Zumindest ein paar Monate lang durften die Ukrainer damals träumen, mit der Kraft der Straße die Macht der Oligarchen zu brechen und die wahlfälschende Nomenklatura auf den Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen.
Der Traum ist aus, willkommen in der
unpoetischen Wirklichkeit. Während sich die Erzfeinde von einst die
Hände reichen, entzweien sich die Verbündeten von damals. Orange,
blass, farblos - die Revolution verkommt zu ihrer eigenen Parodie.
Dass Präsident Juschtschenko ausgerechnet seinem Rivalen
Janukowitsch auf das Podest des Regierungschefs hilft, wäre natürlich
auch als Realpolitik abzutun. So sind nun einmal die Verhältnisse,
wenn die Summe der Reformkräfte kleiner ist als die der Gegner.
Tatsächlich besteht der Verrat am Erbe der Wintertage von 2004
weniger in unumgänglichen Kompromissen. Schwerer wiegt, dass diese
Revolution kaum stattgefunden hat. Deren Vorkämpfer sind von
Juschtschenko bis zur Ex-Regierungschefin Timoschenko lediglich aus
der Rolle von Volkstribunen in die von machtpolitischen Rivalen
geschlüpft. Ansonsten geht alles seinen (fast) sozialistischen Gang:
blühende Korruption, gegängelte Pressefreiheit und sinkende
Sozialstandards.
Nur so erklärt sich der Beifall der Oligarchen und des Parlaments
für die gefundene "Lösung" zwischen westlich orientiertem Präsidenten
und russlandnahem Regierungschef. Von einer solchen Konstellation
haben sie nichts zu befürchten, denn die Trennung zwischen Politik
und Wirtschaft sowie zwischen Regierung und Opposition - Grundlage
jeder Demokratie - steht in der Ukraine nicht mehr auf der
Tagesordnung. Im besten Fall stellt das Duo
Juschtschenko-Janukowitsch die Balance zwischen einer Annäherung an
Europa und einer Anlehnung an Russland her. Wenig ist auch das nicht,
aber weitaus weniger als das, wofür die Aktivisten auf dem Maidan
ausharrten.
Quelle: Pressemitteilung Leipziger Volkszeitung