Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Situation in Südafrika
Archivmeldung vom 24.04.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSüdafrika hat mit großer Begeisterung und hoher Beteiligung gewählt. Gut. Die Wähler am Kap sorgen seit 15 Jahren für klare politische Verhältnisse in einer funktionierenden Demokratie.
Noch besser. Das an Bodenschätzen und fruchtbaren Böden reiche Land ist nach Jahrzehnten brutaler Apartheid und blutiger Aufstandsversuche heute eine stabile Mittelmacht und Wachstums-Vorbild für einen ganzen Kontinent. Unglaublich. Bei allen Unzulänglichkeiten der Regierungspartei ANC und des kommenden Präsidenten Jacob Zuma gilt es festzustellen, dass das Land am Kap noch nie so frei, so erfolgreich und so selbstbewusst war, wie seit Mitte der 1990er Jahre. Das muss vorangestellt werden, bevor das Wahlergebnis im Einzelnen betrachtet wird. Der leichte Dämpfer für den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) ist begrüßenswert. Nicht nur der relativ schlecht davongekommene ANC-Ableger Volkskongress (Cope) hat recht, wenn vor zu viel Macht in einer Hand gewarnt wird. Dem ANC und seinen Führern droht die alte afrikanische Häuptlingskrankheit. Aus einst revolutionären Befreiungskämpfern können mit den Jahren machtverliebte eitle Potentaten werden - siehe in Namibia nebenan bis 2007 mit Sam Nujoma und, ganz extrem, in Simbabwe mit Robert Mugabe (85), der gar mehr nicht loslassen will. ANC-Chef Jacob Zuma steht schon vor der abschließenden Auszählung der Stimmen als künftiger südafrikanischer Staatspräsident fest. Er tritt in die Fußstapfen von Übervater Nelson Mandela und Machtmensch Thabo Mbeki. Der 67-jährige Zuma ist ein Chamäleon. In europäischen Business-Kreisen weiß er ebenso zu überzeugen, möglicherweise auch zu blenden, wie vor seinen immer noch überwiegend armen und vergleichsweise schlecht gebildeten Wählermassen. Zuma muss das Kunststück fertigbringen, weiter Befreiung und Wohlstand zu versprechen, obwohl das nicht haltbar ist. Auch nach 15 Jahren ANC-Politik, hinter der eine kommunistische Partei steht, gibt es im Alltag Südafrikas immer noch Rassentrennung. Die scharfe Scheidelinie zwischen arm und reich bleibt viel zu oft deckungsgleich mit der Abgrenzung von Schwarz und Weiß. Einen tollen Überraschungscoup hat im übrigen die einst ausschließlich »weiße« Demokratische Allianz hingelegt. Deren deutschstämmige Spitzenkandidatin Helen Zille konnte ganz offenbar schwarze und farbige Unterstützer gewinnen. Gegen das in Afrika übliche Stimmverhalten nach Stammeszugehörigkeit haben die neuen DA-Wähler demokratische Reife bewiesen. Erst die praktische Politik der neuen Regierung wird wirklich zeigen, wohin die Reise geht. Allen blumigen Wahlkampfversprechen zum Trotz dürfte angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise kaum Spielraum für einen Kurswechsel bleiben. Experten am wachstumsverwöhnten Kap glauben, dass es der Führung vorrangig ums »Überleben der Krise« zu tun sein wird.
Quelle: Westfalen-Blatt