Die Leipziger Volkszeitung zu Steuerhinterziehung/Razzia
Archivmeldung vom 19.02.2008
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittLange hat es nicht gedauert, bis sich die Parteien in Berlin mit Vorschlägen wieder gegenseitig überbieten. SPD-Chef Kurt Beck fordert härtere Strafen, mehr Fahnder und obligatorische Gerichtsverfahren. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla will die Steueroasen austrocknen, und die Linke ruft per General-Appell in gewohnter Weise nach noch mehr Staat.
Fünf Tage nach den Durchsuchungen bei Ex-Postchef Klaus Zumwinkel und einen Tag nach der Großrazzia steht die politische Republik Kopf. Doch die Berliner Vorschläge entpuppen sich - frei nach Altkanzler Gerhard Schröder - wieder mal als eine regelrechte Quakophonie. Als ob zehn Jahre Freiheitsentzug für einen überführten Steuerhinterzieher nicht abschreckend genug sind, sich souveräne Staaten von Deutschland einfach in ihre Steuerpolitik reinreden oder sich Gerichte bei der Rechtssprechung etwas vorschreiben ließen ... Solche Vorschläge sind obskur und dienen lediglich dem Zweck, bei der eigenen Klientel zu punkten. Sie werden nur noch von politischen Stammtischparolen nach dem Motto überboten: Die Reichen sind die Bösen und die Armen die Guten. Stimmt aber beides nicht. Denn eine solche Schwarz-Weiß-Malerei heizt unnötig eine Neid-Debatte an, die die Gesellschaft spaltet und inzwischen sogar das gesamte Wirtschaftssystem in Frage stellt. Und das, obwohl die deutschen Steuerfahnder hart durchgreifen. Natürlich geht es angesichts des wahrscheinlich größten Steuerskandals in der Geschichte der Bundesrepublik nun darum, über Moral und Ethik zu diskutieren. Denn im Kern dreht es sich um das Verhältnis - und Verständnis - zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Jahrzehntelang ist es Volkssport gewesen, dem Fiskus ein Schnippchen zu schlagen, unabhängig von den Einkommensverhältnissen. Ist es etwa legitim, wenn die Lebensgefährtin eines Marketingberaters als Hartz-IV-Empfängerin nebenbei schwarz kellnert und Geschäftsreisen zu zweit noch steuerlich geltend gemacht werden? Wenn ein Dachdecker mit Wissen des Meisters nach Feierabend Pfannen verlegt und sich das Geld in die Tasche steckt? Oder ein Bauzeichner ganz nebenbei Entwürfe fertigt, die nicht in seinen Büchern auftauchen? Nein, Steuerhinterziehung und Sozialbetrug sind keine Kavaliersdelikte. Schon, weil der brave Steuerzahler dabei stets der Dumme ist. Aber es gibt ehrliche Marketingberater, ehrliche Hartz-IV-Empfänger und ehrliche Bauzeichner. Genauso wie es ehrliche Unternehmer, Promis und Manager gibt. Jeden aber gleich wegen ein paar schwarzen Schafen unter Generalverdacht und obendrein das ganze System in Frage zu stellen, das ist Populismus und damit kontraproduktiv. Eine Wurzel des Übels liegt nämlich woanders. Unser Steuersystem ist mittlerweile so undurchsichtig, dass es viele Grauzonen gibt. Die Politik hatte das Problem schon im letzten Wahlkampf erkannt. Doch Reformpläne wie die eines Paul Kirchhof, der einfache, transparente und vor allem wettbewerbsfähige Regelungen umsetzen wollte, sin
Quelle: Leipziger Volkszeitung (von Thilo Boss)