Lausitzer Rundschau: Zum Wahlergebnis in Mexiko: Regieren schwer gemacht
Archivmeldung vom 01.09.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSeit mehr als acht Wochen kämpft Andrés Manuel López Obrador um die Macht in Mexiko. Vor Gericht und auf der Straße, mit Worten und mit Taten. Und Anfang der Woche haben seine Hoffnungen, doch noch in den Präsidentenpalast einzuziehen, vermutlich den entscheidenden Dämpfer erhalten.
Die Richter des
Wahlgerichts bestätigten nach der partiellen Neuauszählung der
Stimmen im Großen und Ganzen das Wahlergebnis vom 2. Juli, das dem
Konservativen Felipe Calderón den Sieg zuerkennt. Damit gilt als fast
sicher, dass das Wahlgericht spätestens am 6. September dem
Kandidaten der Regierungspartei PAN den Sieg zuspricht. Calderón
würde dann am 1. Dezember die Nachfolge von Staatschef Vicente Fox
antreten. Soweit die Theorie.
Mit der Entscheidung der Richter ist für Mexiko das gefährliche
Ringen um die Macht jedoch noch nicht überwunden. Denn López Obrador
hat mehrfach deutlich gemacht, dass er Calderón als Präsident nicht
anerkennen und seinen Amtsantritt verhindern werde. Er will sich von
seinen Anhängern zum "Gegenpräsidenten" ausrufen lassen, eine
"Widerstandsregierung" bilden und den zivilen Ungehorsam so zur
sozialen Dauerbewegung erheben. Es scheint also, als drohten dem
zweitgrößten Land Lateinamerikas und der größten Volkswirtschaft der
Region unruhige Monate, vielleicht sogar Jahre.
Die erste Nagelprobe steht unmittelbar bevor. López Obrador hat
angekündigt, dass seine Anhänger die Rede des Präsidenten zur Lage
der Nation am heutigen Freitag und die Feiern zum Unabhängigkeitstag
zwei Wochen später aufmischen werden. Sollte er seine Pläne in die
Tat umsetzen, ist erstmals mit gewaltsamen Auseinandersetzungen zu
rechnen. Keine guten Aussichten. Denn wenn Mexiko eine veritable
politische Krise mit Straßenprotesten droht, dann ist der Ruf des
stabilen Schwellenlandes schnell ruiniert. Auch die Wirtschaft, die
bisher die politischen Turbulenzen ignoriert hat, würde Schaden
nehmen.
Egal, wer am Ende Präsident in Mexiko wird, er ist ein schwacher
Präsident. Noch nie in der Geschichte des Landes wurde ein Staatschef
mit weniger Stimmen ins Amt gewählt. Ob López Obrador oder der
PAN-Kandidat Calderón, beide können gerade auf die Unterstützung von
etwas mehr als einem Drittel der Mexikaner bauen. Zusammenarbeit und
die Fähigkeit zu Kompromiss und Konsens werden zu den vornehmsten
Tugenden des künftigen Staatsoberhauptes gehören müssen, damit die
kommenden sechs Jahre nicht zu einem ähnlichen politischen Stillstand
werden, wie die Amtszeit des bürgerlichen Präsidenten Fox.
Sollte Calderón letztlich in den Präsidentenpalast einziehen, wird er
eine andere Politik machen müssen, als er sie im Wahlkampf
versprochen hatte. Er wird vieles von seinem neoliberalen Programm
aufgeben und dafür staatliche Sozialprogramme integrieren müssen.
Denn Mexiko ist ein tief gespaltenes Land mit obszönem Reichtum auf
der einen Seite und brutaler Armut auf der anderen.
Quelle: Pressemitteilung Lausitzer Rundschau