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WAZ: Deutschland bleibt in Moll

Archivmeldung vom 06.11.2006

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 06.11.2006 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Obwohl nun der Aufschwung (endlich mal eine gute Nachricht aus der Wirtschaft) eher trotz denn wegen der Regierung zu Stande kam, verschafft er ihr eine Atempause. So ist das oft in der Politik: was (zumindest kurzfristig) zählt, ist nicht das Sein, sondern der Schein.

Wenn nun derzeit jeden Tag 1500 echte sozialversicherungspflichtige Jobs entstehen, dann liegt das nicht an Gesundheitsreform oder gebremster Schuldenpolitik. Hier hatte die Politik nicht einmal die Wahl: wie hätte, wenn Dax und Jobs boomen, sich Steinbrück auf eine Notlage zur Rechtfertigung von Mega-Schulden berufen können? Auch findet die wirtschaftliche Erholung statt gegen die hohen Energiepreise, was nur zeigt, wie stark die inzwischen oft sanierten, wieder mutiger und innovativer werdenden Unternehmen, besonders die aus dem Mittelstand, geworden sind.

Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt. Jedenfalls haben Unternehmen gelernt, auf die Politik nicht allzusehr zu bauen. Sie können schon zufrieden sein, wenn ihnen nicht Schaden gestiftet wird. Dies geschieht etwa dadurch, dass am Ende womöglich anderes heraus kommt als angekündigt. Ob nun etwa die Steinbrück/Koch-Unternehmensteuer-Reform wirklich entlastet, wird der Mittelständler erst in seiner Steuer-Erklärung lesen können.

Wenn nun schon die Unternehmen von der Politik desillusioniert sind - so scheint dies umso mehr für die Bürger zu gelten. Sie trauen den Parteien wenig bis nichts zu. Das hat wiederum unterschiedliche Ursachen, etwa deren Überschätzung der Großen Koalition als großer Heilsstifter. Aber die Parteien tragen das Ihre zum Verdruss bei. Derzeit lässt sich studieren, wie schnell Richtungswechsel vonstatten gehen, besonders in der Union. Sie will, unter Rüttgers' Führung, Schröders Sozialreformen sozialkonservatorisch zurückdrehen, wofür es ausschließlich wahltaktische Überlegungen gibt. Denn: Ältere sollen profitieren, Jüngere bluten. Und stellen nicht in Deutschland die Älteren inzwischen die meinungsbildende Mehrheit? Und was sollen die Menschen davon halten, dass SPD-Beck den Kohl-Slogan (Leistung muss sich wieder lohnen) kapert und die Merkel-CDU sich neulinks auf "Neue Gerechtigkeit durch Freiheit" verständigt? Da wirkt es dann fast schon wie eine Petitesse, wenn ausgerechnet die Europapartei CDU von Merkel auf einen nationalen statt europäischen Sitz im UN-Sicherheitsrat verpflichtet werden soll. Politik zeigt sorgenzerfurcht mit dem Zeigefinger aufs verdrossene Volk. Aus dem Volk zeigen drei Finger kühl auf die Politik zurück.

Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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