Lausitzer Rundschau: Verlängerung einer Unmoral
Archivmeldung vom 29.10.2010
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittSchon nächste Woche, bei den Castor-Transporten im Wendland, wird man sehen, dass der Protest nach den gestrigen Energiebeschlüssen ein anderer ist, als in den Jahren seit dem vereinbarten Atomausstieg. Schärfer, verbitterter, sicher auch rücksichtsloser. Ihr haltet Verträge nicht ein, wir unsere Zurückhaltung dann auch nicht mehr, so wird die Losung sein. Mit den Atomkraftwerken bekommt auch der gesellschaftliche Konflikt eine Laufzeitverlängerung.
Nur: Wie scharf wird er diesmal werden? Die Opposition träumt zwar schon von einem bundesweiten "Stuttgart 21", aber dies ist kein sichtbares Großprojekt, für das Bäume fallen. Die Koalition will keine neuen Atomkraftwerke bauen oder gar eine Wiederaufbereitungsanlage errichten. Sondern die alten Meiler länger laufen lassen. Auch ihr Gesetz ist ein Atomausstiegsgesetz, aber mit Enddatum 2036 statt 2022. Es ist fraglich, ob eine solche Kursänderung ausreichen wird, um eine außerparlamentarische Bewegung zu befeuern, die so breit ist, dass sie SPD und Grüne praktisch von allein wieder ins Amt tragen könnte. Denn das ist, bei aller echten Empörung, ja auch ein Motiv für die Schärfe der Attacken, die die Opposition derzeit vorträgt. Vielleicht gibt es genauso viele Bürger, die der Regierung halbwegs stabile Strompreise danken werden, oder denen schlichtweg egal ist, was in den Kernkraftwerken passiert - solange sie nur nicht explodieren. Nur im Wendland ist das anders. Hier leben wirklich Betroffene, die nicht der Atommüllabladeplatz der Nation werden wollen. So wie die Bayern und Baden-Württemberger übrigens ganz selbstverständlich auch nicht. Ob ein Kraftwerk dreißig oder vierzig Jahre Strom produziert, ist vergleichsweise sekundär. Aber etwas zu hinterlassen, das niemand haben will, schon gar nicht bei sich selbst, und für das niemand über Hunderttausende von Jahren Verantwortung übernehmen kann, das ist unmoralisch. Die ungelöste Endlagerfrage war und ist der große Geburtsfehler der Atomkraft, die zu dem Schluss hätte führen müssen, dass man damit gar nicht erst beginnt. Sie ist noch zentraler als die Frage der Beherrschbarkeit der Technologie, die auch in anderen Fällen, etwa in der Chemie, damit beantwortet wird, dass ein Restrisiko bleibt. Und diese Unmoral wird ausgerechnet von einer christdemokratisch geführten Regierung nun um 14 Jahre verlängert, mit Erfolg wahrscheinlich, weil ja "bloß" die Gorlebener direkt betroffen sind. Das nennt man Zynismus.
Quelle: Lausitzer Rundschau