Rheinische Post: Europa und die türkische Haft
Archivmeldung vom 26.06.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittWas an dem Fall des in der Türkei inhaftierten Jugendlichen Marco W. so befremdet, ist weniger die Tatsache, dass wegen des Verdachts der Verführung einer Minderjährigen gegen ihn ermittelt wird. Ob es ein harmloser Urlaubsflirt war oder mehr, kann aus der Ferne ohnehin niemand beurteilen. Aufrüttelnd sind vor allem die Berichte über die Haftbedingungen mit mehr als 30 Gefangenen in einer Zelle und nur einmal pro Woche der Erlaubnis, seine Eltern für zehn Minuten zu sprechen.
In solchen Situationen wird schlaglichtartig der kulturelle
Unterschied zwischen Deutschland und der Türkei deutlich. Dabei liegt
Antalya in der touristisch perfekt erschlossenen, von Deutschen viel
besuchten West-Türkei und nicht im hinterwäldlerischen Ostanatolien.
Derartige Vorfälle sagen womöglich mehr über die Beitrittsfähigkeit
der Türkei zur EU aus als abstrakte Brüsseler Verhandlungen.
Freilich können auch in Deutschland ähnlich gelagerte Fälle strafbar sein. Der Tatbestand der Verführung Minderjähriger beginnt nicht erst mit dem Beischlaf und nimmt 17-jährige Täter nicht aus. Auch die türkische Justiz kann nicht anders handeln, als nach einer Strafanzeige zu ermitteln. Die Bundesregierung vermeidet daher jede Justizschelte - schon um keine Trotzreaktionen zu provozieren und die Aussichten auf Hilfe für Marco W. nicht zu belasten.
Quelle: Pressemitteilung Rheinische Post