WAZ: Milliarden Fans fiebern mit: Fußball ist trotz allem keine Weltmacht
Archivmeldung vom 08.07.2006
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittEs ist keine gewagte These, dass Fußball eine weltumspannende Leidenschaft ist. Beim WM-Finale werden über eine Milliarde Menschen live mitfiebern. Auf allen fünf Kontinenten wird gegen den Ball getreten, und tatsächlich bestimmt der Fußball häufig das politische und gesellschaftliche Geschehen vieler Staaten.
Können wir also von einer Weltmacht Fußball sprechen, die mehr
Einfluss als etwa Religionen oder die Vereinten Nationen hat? Kann
Fußball etwa Frieden stiften? Die häufig selbstgerechte Fifa wird die
in allen Bereichen erfolgreiche WM 2006 weiter kommerziell
vermarkten, wird hehre Ideale als ihre Leitlinien verkaufen und
behaupten, dass Fußball eine wahre völkerverbindende Kraft sei. Auch
der Kampf gegen den Rassismus und die Armut sei der Kampf der Fifa.
Einspruch! Fußball ist kein Allheilmittel. Wenn alles gut geht wie
bei dieser WM, dann ist Fußball tatsächlich ein Völker verbindendes
Fest. Dann gibt es Impulse für die Integration, dann sind
Völkerfreundschaft und Internationalität keine leeren Worte. Aber es
braucht günstige Umstände, um eine solche Stimmung zu erzeugen. Der
grundlegende Faktor für jubelnde Fans ist ein Sieg der
Heimmannschaft, sonst nichts. Fehlt diese Grundvoraussetzung, dann
kann es schlimm enden.
Emotionen können auch gelenkt und missbraucht werden, autoritäre
Regime sind darin Meister. Der Blick zurück zeigt, wie übel es
zugehen kann. 1969 kam es zu dem so genannten Fußballkrieg zwischen
El Salvador und Honduras. Etwa 3000 Menschen verloren ihr Leben. Die
Militärdiktatur in Argentinien profitierte von der WM 1978. Deshalb
sei an dieser Stelle empfohlen, einfach den Ball flach zu halten und
nicht aus überschäumender Freude die Realität zu verkennen.
Fußball ist trotz aller bunter Facetten eben weiterhin nur ein
Sport. Aber es ist ein Sport, der viel bewegen kann, positiv wie
negativ. Deutschland sollte den Schwung dieser Weltmeisterschaft und
damit die Weltoffenheit, die Toleranz und die Aufgeschlossenheit
gegenüber Unbekanntem in den Alltag hinüberretten. Damit wäre schon
viel gewonnen. Denn so richtig können wir uns auf die nächsten Monate
nicht freuen. Wenn berechtigt oder unberechtigt Vater Staat uns mit
fantasiereichen Begründungen in die Taschen greift, dann wird unsere
Laune nicht besser. Es droht ein miesepetriger Herbst und Winter. Ein
Vorrat an guter Stimmung kann da nicht schaden.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung