WAZ: Industrie-Politik Deutschland darf nicht sein wie Frankreich
Archivmeldung vom 16.07.2007
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittHeute diskutieren Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatspräsident Sarkozy über die Zukunft des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS: Wer darf wie viele Anteile halten, wer den Chef stellen?
Das wäre nicht weiter spektakulär, hätten nicht
Spitzenpolitiker aus CDU und SPD die nationale Industriepolitik des
zentralistisch und etatistisch geführten Frankreichs als Vorbild
hervorgehoben. Damit droht eine Kehrtwende der deutschen
Wirtschaftspolitik, die bisher auf eine offene Wettbewerbswirtschaft
setzte.
Frankreich macht es besser, lautet der Tenor aus deutschen
Landen. Paris verhinderte unliebsame Übernahmen wie weiland von
Danone durch Pepsi, macht politischen Einfluss geltend, wenn es um
den Schutz seiner nationalen Champions geht. Eine Folge: Von den 50
größten börsennotierten EU-Konzernen stammen 23 aus Frankreich, nur
13 aus Deutschland. Hessens Ministerpräsident Koch (CDU) und
Bundesfinanzminister Steinbrück (SPD) machen sich zu Schutzpatronen
deutscher Unternehmen. Koch möchte eine Brandmauer gegen ausländische
Staatskonzerne und Staatsfonds errichten; Steinbrück will das auch
und noch dazu nach Pariser Vorbild eine Liste mit schützenswerten
Branchen, in denen Übernahmen - ob von Privat oder Staat - von Staats
wegen zu genehmigen sind.
Die Frage ist, was mehr beunruhigt: Ein mit 200 Milliarden Dollar
gespickter Staatsfonds Chinas, der mit einem Happs alle 30 deutschen
Dax-Konzerne schlucken könnte oder solcherlei Betriebsamkeit der
politischen Schutzmänner?
Richtig an deren Argumenten ist: Deutschland muss nicht tatenlos
zusehen, wenn ein Unternehmen wie etwa RWE von einem Staatskonzerns
wie der französischen EdF übernommen wird. Schließlich kommt das
einer Verstaatlichung gleich. Gefährlich an den Argumenten ist der
Mainstream. Madrid tut es, Paris tut es, Washington tut es auch. Ist
nun Deutschland dumm, wenn es zusieht, wie BNP Paribas mit
Schützenhilfe aus Paris die Deutsche Bank aufkauft? Ja, so kann man
das sehen.
Allerdings bedeutet diese Sichtweise das Ende der bisherigen deutschen Europa-Politik, die im Sinne des Ganzen zurücksteckt, die kleineren Ländern Chancen und Teilhabe einräumt - und Sorge vor einem allzu mächtigen Deutschland ausräumt. Deutschland ist nicht Frankreich, schon gar nicht vor der Geschichte. Eine aufs Nationale ausgerichtete Wirtschaftspolitik würde in der europäischen Tektonik weit mehr ändern als der EU und Deutschland gut täte.
Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung