Heftiger Gegenwind
Archivmeldung vom 25.01.2022
Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 25.01.2022 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.
Freigeschaltet durch Sanjo BabićGanz so einfach, wie es zunächst schien, wird es für die EU-Kommission womöglich doch nicht werden, ihre Taxonomie-Vorlage zur Energie durchzubringen. Widerspruch aus Berlin zum delegierten Rechtsakt war absehbar, aber nun hat auch die Expertengruppe der EU-Kommission für Green Finance die Einstufung von Atomenergie und Gas als nachhaltige Investitionen mit dem Etikett "Greenwashing" gebrandmarkt. Auch wenn die Mehrheitsverhältnisse in der EU für die Kommission sprechen: Der öffentliche Druck steigt, die Kriterien nachhaltiger Investments für privates Kapital noch einmal zu überdenken.
Die Haltung in den Mitgliedstaaten deutet unverändert auf Zustimmung hin. Frankreich will - im Konzert mit einer Reihe osteuropäischer Staaten - die CO2-freie Atomkraft nutzen, um die schädliche Emission unter Kontrolle zu bringen. Nur mit einer superqualifizierten Mehrheit von 20 der 27 Staaten könnte der Rat die Kommission stoppen. Diese zeichnet sich nicht ab.
Die neue Regierung in Berlin hat - nach anfänglichem Zögern - kurz vor dem Wochenende die Mitternachtsfrist erreicht und ihre Stellungnahme abgegeben. Es war verlockend für das neue Dreierbündnis, diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen. Die Interessenlage bei SPD, Grünen und FDP zu Atomkraft und Gas ist heterogen. Spannungen hätte die Ampel so elegant vermieden bei einem wenig erfolgversprechenden Vorgang. Mit ihrer Positionierung beweist sie aber politische Handlungsfähigkeit - ein wichtiges Signal.
Berlin lehnt Atomkraft unter anderem mit Blick auf Folgekosten, ungeklärte Endlagerfragen und die Gefahr von Terrorangriffen rundweg als nicht nachhaltig ab. Gas wird indessen als Übergangstechnologie auf dem Weg zur Klimaneutralität akzeptiert. Dort liefert die Regierung einen Katalog von Änderungswünschen zu technischen Kriterien im EU-Vorschlag. Die deutsche Industrie zeigt sich damit nicht ganz glücklich, weil ihr unter anderem der Weg zu klimaneutralem Einsatz von Wasserstoff zu wenig berücksichtigt erscheint. Ein intensiverer Dialog von Wirtschaft und Politik hierzulande könnte helfen.
Offen und wichtig ist, wie das EU-Parlament votiert. Dort ist, anders als im Rat, ein geringeres Quorum nötig, um der Taxonomie noch eine andere Richtung zu geben. Die Bundesregierung bedauert in ihrer Stellungnahme, dass es in dieser wichtigen Frage kein ordentliches Gesetzgebungsverfahren mit öffentlicher Konsultation gibt. Noch hat sie die Hoffnung nicht aufgegeben, ihrer Stimme zu mehr Gehör zu verhelfen.
Quelle: Börsen-Zeitung (ots) von Andreas Heitker