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WAZ: Diskussion um die Reichensteuer: Gegaukelte Gerechtigkeit

Archivmeldung vom 08.11.2005

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 08.11.2005 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Eine Reichensteuer als Preis für eine höhere Mehrwertsteuer – mit diesem Handel würde der SPD ein echter Coup gelingen. Einerseits könnte sie trotz Ermangelung besserer Ideen den Leuten sagen, die böse Union und nicht sie beschere ihnen die Steuererhöhung. Gleichzeitig könnte sie eines ihrer Wahlversprechen einlösen und den Eindruck vermitteln, sie greife den Reichen jetzt aber mal so richtig tief in die zugenähte Sakkotasche.

Die Ironie dieser Geschichte ist, dass damit ausgerechnet die am simpelsten gestrickte Wahlfangmasche der SPD Eingang in die schwarz- rote Agenda fände. Dabei war sie zur Beruhigung der Linksklientel gedacht, nicht als Gesetzesvorlage. Nicht wenigen Sozialdemokraten schien die Parole zu plump, befürchteten sie doch, die Leute könnten sich erinnern, dass es eine SPD-geführte Regierung war, die den Spitzensteuersatz mehrfach gesenkt hat.

Zur Lösung der Haushaltsprobleme trüge die Reichensteuer kaum bei. 1,2 Milliarden Euro könnte sie bringen – für Bund, Länder und Kommunen zusammen, versteht sich. Berlin bliebe ein dreistelliger Millionenbetrag – und die Gewissheit, zur genaueren Definition von Symbolpolitik beigetragen zu haben.

Ein Symbol steht für etwas größeres, in seiner Gesamtheit schwer zu fassendes Ganzes. Zwei einfache Holzbretter etwa stehen, im rechten Winkel zusammengenagelt, für das Christentum. Symbolpolitik dagegen gaukelt nur vor, dass Größeres dahinter stecke. Die Reichensteuer etwa macht die Leute glauben, die Ungerechtigkeit deutscher Steuergesetze sei so gut wie behoben. Dabei verstellt sie den Blick auf die eigentliche Ungerechtigkeit, die nicht im Steuersatz, sondern in hunderten Schlupflöchern steckt. Oder ist es gerecht, dass Privatrenten besteuert werden, Beteiligungen an Hollywoodfilmen aber nicht?

Die größte Gefahr von Symbolpolitik ist, dass sie zum Verweilen einlädt und die eigentlich nötigen Reformen verzögert. So eine Reichensteuer lässt sich schnell beschließen. Die überfällige Vereinfachung des Steuersystems nicht.

Der Spitzensteuersatz von 42 oder demnächst 45 Prozent ist nichts als eine papierne Zahl. Nach (bei Reichen in der Regel besonders gründlicher) Bearbeitung des Steuerberaters werden in Deutschland effektiv nur 15 Prozent Einkommensteuer gezahlt. Wer von den Reichen mehr Steuern haben will, muss verhindern, dass sie sich arm rechnen können.

Quelle: Pressemitteilung Westdeutsche Allgemeine Zeitung

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