Neue OZ: Tabu-Themen einer Glitzerwelt
Archivmeldung vom 12.11.2009
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Freigeschaltet durch Thorsten SchmittDie Ursache von Robert Enkes Selbstmord ist seit gestern bekannt, über den Auslöser sollte man nicht spekulieren. Und man darf sich nicht weiden an den Details seines tragischen Todes. Das geht uns nichts an. Seine Frau Teresa hat in bemerkenswerter Weise freiwillig von der Krankheit erzählt, unter der ihr Mann litt.
Das muss uns reichen, denn es gibt auch eine Privatsphäre nach dem Tod. Dennoch ist Enkes Tod mehr als ein tragischer Einzelfall, mehr als eine mitleiderregende Katastrophe des Alltags, wie sie jeden Tag einen von uns treffen kann.
Seine Krankheit zeigt: Im System Profifußball ist kein Platz für Schwächen, es gibt keinen Blick für die persönlichen Nöte des Einzelnen. Was zählt: Fitness, Nervenstärke, Coolness, Leistungsbereitschaft - ein Spieler muss funktionieren. Enke hatte Angst. Angst vor dem Versagen, Angst, dass seine Krankheit bekannt würde; er fürchtete um seine Karriere. Er wollte keine Schwäche zeigen, deshalb verbarg er das, was er für eine hielt. Als eine Schwäche gilt in dieser Macho-Welt auch die Homosexualität - ein Tabuthema, denn ein Outing hätte verheerende Folgen. Deshalb kursieren immer wieder anonyme Bekenntnisse schwuler Fußballer über ein kaum erträgliches Doppelleben.
Auch über den Umgang mit dem eigenen Körper wird nicht gern gesprochen: Medikamentenmissbrauch ist weit verbreitet; ohne Rücksicht auf Spätfolgen werfen Profis Schmerzmittel ein, um den Stammplatz zu behaupten. Das sind Tabu-Themen in der Glitzerwelt des Fußballs, in diesem Spiel um Millionen und für Millionen, das sich so überhöht und so überhöht wird. Nur in Momenten wie diesem, wenn die menschliche Tragik die glatte Oberflächlichkeit durchbricht, hält das System inne und erkennt fassungslos, dass Fußball doch nicht alles ist. Nicht alles sein darf, möchte man rufen. Robert Enkes Tod bleibt uns allen ein Rätsel, sein Leben aber ist auch eine Warnung für alle, die glauben, Fußball sei das Wichtigste, das Einzige, das Größte.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung