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Westfalenpost: Türkische Komplexe

Archivmeldung vom 30.03.2010

Bitte beachten Sie, dass die Meldung den Stand der Dinge zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung am 30.03.2010 wiedergibt. Eventuelle in der Zwischenzeit veränderte Sachverhalte bleiben daher unberücksichtigt.

Freigeschaltet durch Thorsten Schmitt

Wollte er den Gegnern eines türkischen EU-Beitritts täglich neue Argumente liefern, Recep Tayyip Erdogan könnte sich nicht überzeugender gebärden. Türkenhass unterstellt er neuerdings der Kanzlerin, nachdem diese seiner befremdlichen Idee nichts hat abgewinnen können, in Deutschland ein paralleles türkischsprachiges Bildungswesen zu installieren.

Erdogans Ausfälle sind in politischen Kategorien kaum noch zu beschreiben. Der Mann entpuppt sich zusehends als nationalistischer Paranoiker. Ein Gemütszustand, der sich aus der Entstehungsgeschichte der modernen Türkei durchaus erklären lässt. Deren Gründer waren beseelt vom Ressentiment der Demütigung des niedergehenden Osmanischen Reiches durch die europäischen Mächte, die sich im 19. Jahrhundert als Schutzherren der christlichen Untertanen des Sultans aufspielten. Das Gefühl, von Europäern geschurigelt, missachtet und verkannt zu werden, gehört seit langem zur seelischen Grundausstattung der türkischen politischen Elite. Die Kanzlerin war also gestern in Ankara mit besänftigender Rhetorik als Therapeutin unterwegs. Freilich, wer im 21. Jahrhundert einen Platz in der EU begehrt, sollte vielleicht auch ohne gutes Zureden seine historischen Komplexe überwinden können. Wenn statt dessen Erdogan in reinster Blut- und Boden-Diktion die türkische Diaspora in Europa als politische Verfügungsmasse reklamiert, so ist dies sicherlich kein Beitrag, das Vertrauen der Europäer in den EU-Aspiranten Türkei und dessen harmlose Absichten nachhaltig zu stärken. Um das Mindeste zu sagen.

Quelle: Westfalenpost

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